Montag, September 22, 2008

Manfred Kastners posthume Ehrung


Ausstellung
Bilder von Manfred Kastner
Meeresmuseum Ostsee-Ausstellung
Text: Juliane Voigt
Datum: 2008-09-19

Er muss ein verkappter Künstler gewesen sein, der Spitzel „IM Grün“. Dieser Manfred Kastner, schrieb er im Stasi-Bericht, der würde ja behaupten, dass er in seinen Bildern keine verschlüsselten Botschaften verstecke, aber das läge doch auf der Hand, wenn man sich die Bilder ansieht. Und man müsse sich mal vorstellen, dass selbst Experten das nicht erkennen. Er, IM Grün, sei jedenfalls fest davon überzeugt, dass der Kastner Eingeweihte über seine verschlüsselten Botschaften informiere. Und das galt es herauszufinden. Für den beflissenen IM Grün.
Manfred Kastner ist seit 20 Jahren tot. Er wäre in diesem Jahr 65 geworden. Und er hat mal ein paar Jahre im damaligen Naturkundemuseum als Präparator gearbeitet. Bevor er Maler wurde und nach Rügen zog. Aus diesem Grund ist seit gestern im Meeresmuseum, zweite Etage, eine Ausstellung mit Bildern des Malers zu sehen. Und da kann man zumindest eins ziemlich deutlich sofort erkennen, insofern hatte der IM einen guten Riecher: Kastner hatte offensichtlich ein Problem mit dem sozialistischen Realismus. Oder zumindest keine Lust, solchen zu malen. Die Bilder sprechen eine klare Farb- und Formensprache. Eine freundliche Fantasiewelt ist es, vor der man da steht. Bild für Bild. Auch mal ein Labyrinth, ein Fels, ein Kanal mit Wasser. Aber mehr ist da nicht. Und man kann sich aussuchen, ob man Betrachter bleibt oder eintaucht in die Kastner-Welt. Hinein ins Blaue, Lichte Helle.
„Freuen wir uns, die, die ihn kannten, dass es ihn gab.“ Es wurde vor den Bildern in großer Runde noch einmal an ihn erinnert. Kastner wird in seinen Bildern und den Erinnerungen seiner Freunde und Weggefährten weiterleben. IM Grün in elf Stasiakten über den Maler. Die Farbe Grün hat Kastner, jedenfalls auf den Bildern in der Ausstellung gar nicht verwandt. Und dahinter verbirgt sich doch sicher auch wieder was....

Alter Hafenspeicher als Beugs Hotel neu eröfnet


Hoteleröffnung Beug´s Hafenspeicher
Text: Juliane Voigt
Datum: 2008-09-04

Jahrelang stand er einfach nur da, ohne irgendetwas zu sein. Ramponiert und ausgebrannt zwar,
aber für eine Ruine auch wieder zu stolz. Nutzlos, aber gekonnt lässig an der Ecke lehnend, direkt vorne an der Hafenkante. Was sollte nur aus dem noch mal werden?
Ein Hotel ist er geworden. Der Hafenspeicher am Querkanal. Am Wochenende ist die offizielle Eröffnung von „Beug´s“ Hafenspeicher – Appartement- und Wellnesshotel, Restaurant und Bar. Der Unternehmer C.A. Beug hat das Backsteingebäude 1870 errichtet, um Kohle, Petroleumkisten und Antriebsöl für Schiffsmotoren einzulagern. Die Schiffe des Reeders legten direkt vorm Haus an. Das war das Geschäft des Eisengießers, der zudem auch noch Bier braute.
Jochen Geiling hat den Speicher nach dem Brand im Jahr 2002 gekauft. Die Idee für ein Hotel lag an dieser exponierten Stelle zwar nahe. Aber es selbst zu machen? Architekt und Hotelier sind keine unbedingt verwandten Berufe. Inzwischen aber begeistert er sich für Beides und betreibt das Haus engagiert und mit höchst individuellem Anspruch zusammen mit seiner Lebensgefährtin Christine Helm.
Die ersten Gäste waren auch schon da. Drei Doppelzimmer und sieben Appartements mit Kochgelegenheit und Schlafgalerien befinden sich in den drei Etagen. Die Gäste lieben das Haus. Und viele Stralsunder, so Geiling, seien auch schon vorbeigekommen. Sie freuen sich über dieses Stück gerettete Altstadt und interessieren sich natürlich für den Ausblick von der so genannten „Dachlaterne“. Ein Stück Himmel mit weitem Blick, zu erklimmen über die restaurierte Original-Holztreppe aus dem früheren Erdgeschoss. Geiling ist als Architekt nicht sehr autoritär vorgegangen. Er hat Beug gelassen, wo er konnte. Die dicken Holzbalken sind sandgestrahlt, die Backsteine im Gastraum unverputzt, der alte Speicher innen und von außen als solcher erkennbar.
Dennoch besticht die Ausstattung durch Modernität und gute Gestaltung. „Design?“ sagt er, „nicht um jeden Preis.“ So wird auch das Restaurant mit den 38 Sitzplätzen thematisch den „Handel und Wandel im Stralsunder Hafen 1870“ aufgreifen. Küchenchef Philipp Langhammer ist allerdings alles andere als von gestern und setzt auf gesunde Bistro-Küche, die sich wechselnd am saisonalen und regionalen Angebot orientiert. Mittags werden Gemüse-Suppen angeboten. Fleisch und Fisch, betont er, kommen als etwas Besonderes auf den Teller. Und aus dem Zapfhahn fließt kühles „Beug´s-Braunes“ und „Beugs-Blondes“ – eine Spezialität dieses Hauses. Jochen Geiling lässt das Bier in einer süddeutschen Brauerei produzieren. Braunbier, so wie Beugs es noch gebraut hat, ist aus der Mode gekommen. Aber es schmeckt viel würziger und malziger. „Und es hat nicht die üblichen Nebenwirkungen, weil es länger gebraut wird.“ So Geiling.
Zum Winter wird in dem alten Speicher noch eine herrliche Lehmsauna fertig werden. Und wer es schon immer wollte aber nie geschafft hat, kann jeden ersten Freitag im Monat zwanglos unter professioneller Anleitung Gesellschaftstänze üben. „Danz op de deel“ heißt diese sehr sinnvolle Institution. Und wer nun endlich mal wissen will, was man von der Dachlaterne aus alles sehen kann, hat die Chance, sich in der Langen Nacht des offenen Denkmals von Jochen Geiling persönlich nach oben führen zu lassen.

Das erste Kinderbuch des Strandläufer-Verlags Stralsund


„Klein Häuschen allein zu Haus“
von Eva S. Perl und Patricia Bischoff (Illustrationen)
Text: Juliane Voigt
Datum: 2008-09-11

Jeder fragt sich doch irgendwann mal, was die eigene Wohnung von einem denkt und was da wohl los ist, wenn man mal verreist. Nicht nur Kinder stellen sich diese bange Frage. Aber die sind es, die nachts im Bett liegen und das Fürchten lernen, weil hier ein Deckenbalken knackt und da ein geheimnisvolles Wesen geräuschvoll durch die Heizungsrohre blubbert.
Bei der Kinderbuchautorin Eva S. Perl gehören zum Haushalt nicht nur sie und ihr Mann und ihre dreijährige Tochter. Da gibt’s noch Ludmilla, die fleißige Waschmaschine, Bärbel, die Spülmaschine, die zwar ganz ordentlich Geschirr spült, sich aber auch unaufhörlich mit nervigem Gepiepe wichtig macht. Und es gibt, darf ich vorstellen?: Achmed, den traurigen Kühlschrank. Seine Seufzer sind wirklich durchdringend. Das muss man zugeben. Und, achja, Heinz, der Heizungslurch, immer fidel, immer in Bewegung. Eine Nervensäge.
Sie erwartete ihr Kind, erzählt Eva S. Perl, die eigentlich Katrin Hoffmann heißt, aber trennen möchte zwischen der Kinderbuchautorin und der Journalistin, die sie auch noch ist. Sie war also schwanger, als sie das Buch geschrieben hat. Ihr erstes Kinderbuch “Klein Häuschen allein zu Haus“ heißt es und das widmete sie eben den Wesen, die schon lange fest zum Haushalt gehörten.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Eine Familie verreist, das Haus bleibt alleine, alle Geräte und Geräusche und der Kater streiten und vertragen sich, einer ist wichtiger als der andere, schließlich kommen Einbrecher, die in gemeinschaftlichem Aufruhr zur Strecke gebracht werden.
Katrin und Peter Hoffmann haben in diesem Jahr den Verlag „Strandläufer“ gegründet, in dem sie auch schon die zweite Auflage des Stralsund-Krimis „Die Pilzsammlerin“ verlegt haben. Die Neuerscheinung aber ist das Kinderbuch. Mit lustigen Illustrationen der Zeichnerin Patricia Bischoff. Katrin Hoffmann hat gestern als Eva S. Perl in der Kinderbibliothek den Kindern der Stadt ihr Buch vorgelesen. Son stöhnender Kühlschrank, wissen die Kinder jetzt, ist doch auch nur ein Mensch. Und zwinkern ihm heimlich zu.

"Der Rosenkavalier" in den Endproben


Premierenankündigung und Vorbesprechung mit dem Regisseur und Sängern des Musiktheaters
„Der Rosenkavalier“
Premiere am 27. September 2008
Text: Juliane Voigt
Datum: 2008-09-18

Er hat ein beachtliches Gewicht, der Rosenkavalier. Regisseur Professor Anton Nekovar hebt demonstrativ einen voluminösen Klavierauszug in die Höhe. „Wir haben uns hier an ein Opus Maximum herangewagt.“ Der Rosenkavalier, das sei eine der schönsten aber auch schwierigsten und längsten Werke der Opernliteratur. Sagt er. Komponiert von Richard Strauss, uraufgeführt an der Hofoper (heute Semperoper) in Dresden am 26. Januar 1911. Mit so einem triumphalen Erfolg, dass man Zugverbindungen von Berlin nach Dresden einrichten musste. Am nächsten Samstag, am 27. September, ist in Stralsund die Premiere.
„Der Rosenkavalier“ ist eine Oper, über die Kenner sofort ins Schwärmen geraten. Erst einmal ist es ausdrücklich eine Komödie für Musik, schrieb der Komponist unter den Titel. „Eine wienerische Maskerad´ und weiter nix!“ Sie hat Züge einer Operette, andauernd walzt es im Dreivierteltakt, es wienert gar sehr in einer Kunstsprache, es geht komödiantisch zu, clownesk sogar, natürlich rankt sich der Handlungsstrang um unerfüllte Liebe und zwei, die sich am Ende kriegen.
Aber die Oper hat auch einen Unterbau, einen Keller. Wo versteckt man die Tiefe am Besten? An der Oberfläche. Hinter der fast mozartlichen Handlung steckt die straussche Schwere. Um das Vergehen von Zeit geht es, „Wie man nichts halten soll, wie man nichts packen kann, wie alles zerlauft zwischen den Fingern, alles sich auflöst, wonach wir greifen, alles zergeht, wie Dunst und Traum“ singt die Marschallin. Und es ist ein Abgesang an das 19. Jahrhundert. Ein Niederknien vor der schönen Zeit und den alten Werten. Es ist eine Oper, auf die es sich zu warten gelohnt hat. Seit vor zwei Jahren fest stand, dass „Der Rosenkavalier“ als Koproduktion mit der Oper Lecce in Italien, auch auf die Stralsunder Bühne kommen wird. Es ist göttliche, sphärische Musik. Natürlich das Terzett am Ende des dritten Aktes. Und das letzte Duett, ein Suchtmittel fast. Man will nicht, dass es je aufhört. Ein Sirenengesang. Sophie, die Marschallin und Octavia, ein junger Mann, ein 17-jähriger, eine Hosenrolle. Eine Frau also, die eigentlich ein Mann ist, der sich dann aus Verführungszwecken als Frau verkleidet. Wiepke Damboldt musste dreimal um die Ecke denken, um in die Rolle zu schlüpfen. Musikalisch ist jede Stimme mit der anderen verwoben, verheddert und entwirrt sich von Zauberhand. Selten, dass das Orchester eine Melodie führt. Die Sänger singen oft im Parlando, also eher einem Sprechgesang, einen Bogen „und dann hoffen wir, dass wir zusammen ankommen.“ Scherzen sie. Anette Gerhardt singt die Marschallin und hat die Partitur vor zwei Jahren zum ersten Mal in die Hand genommen. Eva Resch betont, sie hätte die Sophie wohl nicht ohne die Einzelproben mit Prof. Husmann so schnell gelernt. Und alle drei Frauen sind dankbar für die Geduld, mit der Henning Ehlert und David Grant am Klavier die Partien mit ihnen geschliffen haben. Ein Oboist hatte zu Strauss gesagt, seine Stimme sei unspielbar, woraufhin der Komponist antwortete: Trösten Sie sich, beim Klavier ist es auch so.
„Am Besten, man kennt die ganze Oper auswendig. Dann kriegt man seinen Einsatz immer. “ Sagt André Eckert. Er ist der Baron Ochs aus Lerchenau, ein verkommener Landadliger. Die Hauptpartie der Oper, die Schwerste. Wer den Ochs schafft, kann man sagen, ist so was wie geadelt in der großen Opernsängerfamilie. Den Ruf, „Der Ochs“ zu sein, den muss man sich hart ersingen. Der Dresdner hat den Ochs schon in vielen verschiedenen Häusern gesungen. Und er kennt die ganze Oper ziemlich sicher auswendig.
„Der Rosenkavalier“ ist eine Herausforderung, auch fürs Publikum. Soviel steht fest. Man muss sich schon auf fast vier Stunden Musik einlassen. Aber wer sich am Ende nicht vollkommen aufgelöst wieder findet und glücklich und zutiefst ergriffen, der ist ein wahrer Ochs aus Lerchenau, jedenfalls einer seiner vielen Verwandten.
Am Sonntag um 11 Uhr findet die Matinee zum Rosenkavalier im Gustav-Adolf-Saal statt.

Die Sache und die Sachen sortiert von Hermann Kant und Irmtraut Gutschke


Lesung und Gespräch
Hermann Kant und Dr. Irmtraud Gutschke
Speicher am Katharinenberg, 27. 8. 2008
Text: Juliane Voigt
Datum: 2008-08-28

Es ist wie mit den beiden Kästen, die man sich irgendwann im Leben anlegt. In den eine kommen die Fotos, die man von sich herumzeigt, die anderen laufen unter „Mumien/Monster/Mutationen“. Nach ein paar Jahren ertappt man sich dabei, wie man die Schlechten zu den Guten umsortiert. „Da sah ich doch super aus! Wieso liegen die in der doofen Kiste?!“ Alles ist relativ und am Ende nur eine Frage der Distanz.
Hermann Kant hat sich zu Wort gemeldet. In einer Zeit, in der sich auch die DDR-Kritik schlicht darauf polarisiert zu haben scheint, dass es nur zwei Seiten gegeben hat: Den bösen Staat und die guten Dissidenten. Schwarz und weiß. Kant liegt bekanntlich als SED-Funktionär und Vorsitzender des Schriftstellerverbandes der DDR in der nicht so ganz günstigen Kiste. Am Mittwoch war er auf Einladung des Freundeskreises Rosa-Luxemburg im Speicher am Katharinenberg.
Es war nicht seine Idee. Das mit dem Buch. Das Neue Deutschland wars: „Was sagt Kant 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus?“ Das wäre doch mal ein Buch, was die Welt noch braucht. Dachten sie und dachten sich gleich eine Buchreihe aus.
Es ist ein Protokoll von fast 50 Stunden Interview, das die Journalistin Irmtraud Gutschke mit Kant geführt und anschließend aufgeschrieben hat. „Die Sache und die Sachen“, ein „typisch kantscher Titel“ sagt sie. Verkaufsschädigend, kam es aus dem Publikum. In Wirklichkeit ist es ein kantscher Volltreffer. Die Sache und die Sachen – um nichts anderes geht’s. Punkt.
Kant antwortet also. Auch an diesem Abend, auf Fragen von Irmtraud Gutschke. Die Fragen aller Fragen an Kant wäre ja die nach seiner heutigen Einsicht in die damaligen Notwendigkeiten. Würde er noch einmal Kollegen aus dem Verband ausschließen, um seine Position zu retten? Gutschke sagt später: „Ja, das wollen alle wissen. Aber ich frage ihn doch nicht jeden Abend dasselbe.“ Laut hat diese Frage an diesem Abend keiner gestellt. Die steht aber, auch mit Antwort, im Buch, falls mans wirklich wissen will. Für diesen Abend folgte man dem Frage-Antwort-Katalog auf dem Podium zu Wehrmacht (nein, keine Waffen-SS!) und Gefangenschaft. Und ein wenig DDR-Aufarbeitung auch, die sowieso, so das Fazit von Irmtraud Gutschke, in ihren grenzenlosen Auswüchsen sinnlos sei, weil „es steht ja keine DDR mehr bevor.“ Genau. Gespenster sind es, sagt Kant, über die man redet. Ein Grusel das, für jeden Historiker.
Aber wenn es einen Grund gibt, warum dieses Buch eins ist, was die Welt vielleicht doch braucht, dann der, dass Kant ein Zeitzeuge ist und in seinen Antworten sehr detailliert und bildhaft Auskunft gibt. Dem man insofern in seiner Weltsicht vertrauen kann, weil er nicht mit Zwar-Aber-Verteidigungsgewinsel versucht hat, die Kiste zu wechseln. Er ist ein großer Literat, ein geistreicher Erzähler und ein, in Maßen, Reflektierter. Ein Mensch, der mit dem Leben, was er als sein Leben leben musste, nur das sein konnte, was er wurde. Wie Jedermann.

Verlag „Das neue Berlin“, 14,90 Euro

Dienstag, September 02, 2008

Ein Promi-Dinner mit italienischer Oper in Stralsund


Opernsänger und Regisseurin des Theaters haben die Presse bekocht

Das wars schon wieder mit „La Bella Musica“. Von Donnerstag bis Samstag dieser Woche finden die letzten Vorstellungen mit den schönsten Melodien Italiens auf der Seebühne statt. Es war ein Erfolg. Mehrere Vorstellungen waren komplett ausverkauft. Bänke wurden dazugestellt. Resümiert Karina Schulz, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Theaters Vorpommern. Nur an einem Abend musste man wegen schlechten Wetters ins Theater ausweichen. Schauspieler, Sänger, Ballett und Orchester wurden begeistert gefeiert. Das Theater ist mit den gesamten Ostseefestspiele 2008 - das war „La Bella Musica“ auf der Seebühne, „Tosca“ in der Kulturkirche und „Die Perlenfischer“ im Theater – mehr als zufrieden.
Kürzlich kam ich deshalb in den Genuss eines ausgesprochen unterhaltsamen lokalen Promi-Dinners: Ein Abend für Sopran, Bariton und Bass, Regisseurin und große Küche. Ja, es wurde für mich gekocht. Heilige Pasta! Dachte ich. Wenn Opernsänger kochen: Maria Callas hatte zum Beispiel eine Vorliebe für blutige Steaks und roh pürierte Leber, mit Öl beträufelt.
Eva Resch, die Sopranistin, an deren Küchentisch sich die illustre Abendgesellschaft versammelt hatte, zum Glück nicht. Dafür servierte sie ein köstliches Antipasti-Potpourri: In Knoblauch eingelegte Paprika und Zuccini, ausgebackene Melanzane mit Mozarella gefüllt, Parmaschinken an Honigmelone und knuspriges Bruscetta. Man entkorkte den Weißwein, ein Geschenk des Weinladens, ein köstlicher und fruchtiger, herrlich kühler Soave Classico. Denn auch die Außentemperaturen waren an diesem Abend ganz und gar italienisch. Während des nächstens Gangs - Regisseurin Alexandra Kieser hatte ein enormes Zutaten-Ensemble liebevoll zu einer gehaltvollen Minestrone zusammeninszeniert – kam die Idee auf, die Erfolgs-Story mit der verirrten Taucherin Gerda Schulze und dem italienischen Eisverkäufer Giovanni im nächsten Jahr einfach weiterzuspinnen. Es soll ja auch Bühnenhelden geben, die man erst köpft und im nächsten Jahr wieder auferstehen lässt. Da könnten doch die beiden im nächsten Jahr in die Flitterwochen fahren, italienische Arien singen, den ersten Ehekrach absolvieren, Arien gäbe es dafür genug, und natürlich: italienisch essen. Oper und Küche – das ist die große Amore der Italiener. Der deutschen Liebhaber italienischer Opern natürlich auch. Keine Oper ohne Trinklied oder Gelage. Souppa, Pizza, Pasta, Dolce sind überlebenswichtig. Essen ist LebensArt. Rossini hat bekanntlich über die Leidenschaft zum Kochen das Komponieren schließlich ganz aufgegeben. Pfirsich Melba, verblüffte Bryan Rothfuss, Spross einer amerikanischen Opernsänger-Familie, mit seinem Spezial-Wissen, sei eine Hommage an die australische Sängerin Helen Porter Mitchell, die sich Nellie Melba genannte habe. Auch das Gericht Chicken Tetrazzini ist einer Sopranistin gewidmet, einer Italienerin, die vor 100 Jahren lebte und die auf alle Fälle, wie Fotos beweisen, zu viel davon gegessen haben muss. Während Bassist und Bühnen-Mafiosi Bernhard Leube mit dem nächsten Gang überraschte: Spaghetti Frutti di Mare a la Sizilia – ausreichend für eine ganze Mafia-Bande – entspann sich eine Diskussion um die vorlaute Behauptung einer bekannten Wochenzeitschrift die in ihrem Magazin posaunt hatte, dass die Oper Stralsund die schlechtesten Besucherzahlen des ganzen Landes habe. Es sei, so Karina Schulz, auf die Anfrage, welchen Quellen diese Mathematik und der daraus resultierende Image-Schaden zugrunde liege, bisher keine Antwort eingegangen. Bryan Rothfuss setzte zum Abschluss mit einem Himbeertiramisu auf das Außergewöhnliche. Vermutlich eine Liebeserklärung an den pinkfarbenen Motor-Roller und die löffelbisquitgelben Hosen mit espressobraunen Karos seiner Auftrittsarie aus dem Barbier von Sevilla. Man schwärmte einvernehmlich und prostete sich mit der nächsten geöffneten Weinflasche, inzwischen ein hervorragender roter Tropfen, zu. Es war ein vergnüglicher Abend.
Fazit für mich: 1. Opernsänger, vor Allem Sopranistinnen, können doch ziemlich gut kochen. 2. Falls im nächsten Hamburger Magazin stehen sollte, dass die Oper Stralsund die schlechtesten Besucherzahlen der ganzen Welt haben soll, muss sofort angebaut werden, weil der Eintrag im Guinness-Buch die Besucher in Scharen herlocken wird. Und 3. Nicht jedes Pressegespräch sollte vier Gänge haben, sonst sehe ich bald aus wie Luisa Tetrazzini.

Sonntag, August 24, 2008

Professor für Gregorianik und Liturgie hält Vortrag über gregorianische Gesänge

Prof. Klöckner erhielt als Dank für seinen Urlaubs-Vortrag das Buch "Wenn Kirchen singen", ein Bildband über die Stralsunder Kirche St. Nikolai

Andächtig schreiten sie durch den Kreuzgang, Kerzen in der Hand, die weißen Gewänder wedeln majestätisch, eng umhüllen Kapuzen die Gesichter der jungen Männer – eine göttliche Boy-Group. Die Mönche des Klosters Heiligenkreuz haben es in diesem Jahr in die Top Ten der englischen Charts geschafft. Noch vor die großartige Katastrophen-Amy. Und sogar Madonna, die Weltliche, haben sie überholt. Ein Pater aus dem Kloster im Wienerwald sagte kürzlich in der Presse, er hätte nichts dagegen, dass die Menschen „nach unserer Musik aus-chillen.“
Was das nun wieder sei, hat er nachschlagen müssen. Dass die Musik die Charts erobert, wundert ihn nicht. Stefan Klöckner ist der einzige Professor für Gregorianik und Liturgie. Seinen Lehrstuhl hat er an der Folkwang-Hochschule für Kunst und Musik in Essen. Er teilt also seine Vorliebe inzwischen gottlob mit vielen Menschen, aber er ist der einzige, der in dieser Musik forscht wie ein Archäologe.
Am Dienstagabend hat er in der Nikolaikirche einen Vortrag gehalten, auf Einladung des Fördervereins. Es handelt sich bei einem gregorianischen Choral, benannt nach Papst Gregor dem Großen, einer liturgischen Autorität der katholischen Kirche, um einstimmige Vertonungen von Texten aus der Bibel. Laut gelesen sollten Texte der Bibel in Herz und Seele gepflanzt werden, die Mönche sollten sie auswendig sprechen können. Vielleicht grummelten sie sprechend zu sehr. Die Texte wurden jedenfalls im 8. Jahrhundert in Noten gesetzt und seitdem gehören sie zum Alltag in jedem Kloster. Sieben Mal am Tag wird zum Stundengebet gerufen und die Liturgie gesungen. Klöckner beschäftigt sich in seiner Arbeit mit eben diesen Hintergründen, aber auch mit Pünktchen über den Wörtern, oder kleinen Häkchen mit oder ohne Strich und den Tempi. Die Gemeinde seiner Zuhörer sang am Ende herzergreifend. Das, betonte er, sei die einzige Aufgabe der gregorianischen Gesänge, in die Herzen zu dringen. „Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“
Jeden Mittwoch um sieben Uhr früh erklingen übrigens solche herrlichen Gesänge im Chorraum der Nikolaikirche. Auf CD gepresst könnte das ohne Weiteres, Heiligenkreuz hat es bewiesen, die neue Stralsund-Sensation werden.

Samstag, August 23, 2008

Kreuzorganist Holger Gehring an der Buchholz-Orgel


Sonate A-Dur op. 65 Nr. 3 von Felix Mendelssohn Bartholdy – ein Schlager könnte man schon fast sagen, den Kreuzorganist Holger Gehring da an den Anfang seines Konzertes am Mittwochabend in der Kirche St. Nikolai setzte. Es war das letzte Stück, das Kantor Matthias Pech vor der Sanierung der Buchholz-Orgel gespielt hatte und das erste auch nach der Sanierung vor zwei Jahren. Und jetzt wieder. Wie romantisch! Ist es wirklich. Ein Stück aus der Romantik. Zwar meinte Goethe „Classisch ist das Gesunde, romantisch das Kranke.“ Aber das war mal ausnahmsweise eine sehr einseitige Äußerung von ihm. Romantik – das stand für Exzentrik, einen ungesunden Überschuss an Gefühl und Fantasie und für die Verachtung der Wirklichkeit. Aber für Romantik muss man eben Talent haben. Das war nichts für aufgeklärte Zeitgenossen.
Die Komponisten der Romantik fühlten sich als Verkörperung der Musik schlechthin. Musik war jetzt nichts Konstruiertes mehr. Es war die Offenlegung von Seele und Gefühl. Improvisation, seelische Ausbrüche in Variationen. Und die Orgelbauer, die standen diesem Anspruch in nichts nach. Das Neuschaffen von Klängen an der Orgel war für sie Musikschaffen. Seitdem gibt es Begriffe wie „symphonische Orgel“ oder „orchestrale Orgel“ oder „Orgel-Streicher“. Romantische Orgeln haben Tiefe und klingen geheimnisvoller als die der Klassik und des Barock.
Holger Gehring hat so ein romantisches Orgelkonzert gegeben. Stücke der Romantik an einer romantischen Orgel. Und am Ende stand er oben auf der Empore vor seinem „Orchester“, der Buchholz-Orgel, huldigte auch sie mit einer Armbewegung und verbeugte sich beängstigend weit über die Brüstung, hoch oben über seinen applaudierenden Zuhörern, die aufgestanden waren, um ihn sehen zu können.
Es war grandios. Alles zusammen. Natürlich war es die Musik. Aber auch die Orgel. Und dieser alles verbindende Virtuose am Spielpult. Gehring ist wirklich einer der Besten. Amtlich. Sonst wäre er nicht Organist an der Dresdner Kreuzkirche. Er spielte Johann Gottlob Schneider und Gottfried August Homilius. Insbesondere bei den Variationen von Johann Christian Heinrich Rinck holte Gehring mit Spieltechnik und Registrierung aus der Orgel heraus, was sie hergab. Es trompete leise, pfiff wie ein seichter Wind, eine Spieluhr erklang, Geigen strichen leise, in die tiefsten Tiefen stieg er im Pedalbass, klimpernde Zimbeln erklomm er im obersten Manual. Mal schüchtern, als stünde noch eine kleine Orgel hinter der Großen, mal dröhnend, als würden sich Erde und Himmel öffnen. Am Ende hat er die Fantasie Nr. 5 in d-Moll op. 176 gespielt. Eine Reminiszenz an Gustav Adolph Merkel, der ein Kollege Gehrings war, Kreuzorganist. Bis 1885. Romantik, das ist eben auch heute noch die Verklärung der Vergangenheit. Zum Glück. Und somit auch Gegenwart.

Neue Männer braucht das Land - neue Frauen aber auch

Die Mädels aus Schwedt sind im Männergrundstudium stecken geblieben

„Also Mädels, so wird das nichts!“ Protestierte es in der Zuschauerin am Freitagabend im Gustav-Adolf-Saal. „So kriegt ihr nie einen ab! Das geht anders.“ „Neue Männer braucht das Land“ hieß das Programm, mit dem drei Schauspielerinnen der Uckermärkischen Bühne Schwedt mal wieder alles in Schutt und Asche legten, was sich an Zutraulichkeiten zwischen Mann und Frau seit dem Desaster 1968 entwickelt hatte. Die wirklich emanzipierte Frau von heute ist doch schon längst über den Kastrationseifer hinaus. Die bringt ihrem Goldstück morgens das Frühstück ans Bett und weiß, dass er anschließend durch ihre Anforderungsliste schnurrt wie ein gut geölter Sechszylinder.
Aber die Damen aus Schwedt sind da scheinbar im Grundstudium stecken geblieben. Als Nummerngirls waren sie super. Kess haarewedelnd, arschwackelnd, augenklimpend, drei Röhren, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen, immer einen schlimmen Spruch auf den rotgepinselten Lippen. Unvergessliche Erscheinungen. Aber muss man sich so dummdumm amüsieren, wenn man in der Kur darüber informiert wird, wie der Kerl zu Hause in der Küche versagt? Abgesehen davon, dass diese Rollenklischees komplett überholt sind, hätte die Reaktion ein bisschen mit Entsetzen gepaart sein können. Und so weiblich, ledig und nicht mehr ganz jung sollte man sich nicht erdreisten, den Spitznamen eines männlichen Gegenübers auf „schnurz“ oder „kurz“ zu reimen. Dass der Volltrottel das ganze Jahr über läufig ist, hat ja auch direkt damit zu tun - bleiben wir im Tierreich - dass die gemeine Tussi das ganze Jahr lang dafür empfänglich ist. Die drei Schauspielerinnen jedenfalls haben sich redlich Mühe gegeben, die Männer schlecht zu machen. Gewonnen hat aber an diesem Abend der weichgespülte und kuschende einzige Halbmann auf der Bühne. Pantoffelheld und herzerweichender Sympathieträger mit Gitarre. Wenn er sich gewehrt hat, dann wenn die Girls mal hinterm Vorhang verschwunden waren. Dann schlug man sich auf seine herzerfrischende Seite und duckte sich weg, wenn die Mädels wieder aufkreuzten. Männer muss man loben. Dann bleiben sie stark, Dann bleiben sie oben.

Esther Dittmers Haus für den lieben Gott


Die Rostocker Künstlerin stellt Fragen an den lieben Gott

Es gibt ihn wirklich - den Gott. Gott sei Dank! Die Zweifler, allen voran Herr Nietzsche, können einpacken. Sein Büro hat er in der Kirche in Landow, wer also Fragen hat... Eine „Philosophische Installation“ ist es, die am Sonntag mit dem Sommerkonzert des Philharmonischen Orchesters Vorpommern in der Kultur- und Wegekirche im Rahmen des 9. Musiksommers eröffnet wird. Und es ist der dritte Kommentar, den die Rostocker Künstlerin Esther Dittmer mit dem Fachauge der Restauratorin, zum langsam fortschreitenden Kirchenumbau abgibt. Nach den „Honks“ und „Transversale Transzendenz“ ist sie wieder da und philosophiert mit „AB und AN Wesenheit“ aufs Heiterste über Gott und die Welt. „Gott hat seinen Schreibtisch im Altarraum stehen. AB und AN ist er da. Sagt er.“ Sagt sie. Seine zahlreich anwesenden Mitarbeiter aus weißem Porzellan, sonst in Wattewolken, wirken ein wenig zerbrechlich. Dittmer braucht Nachschub, nachdem ihr schon zwei an der harten Realität zerschellt sind. Da fragt man sich doch, weshalb wir Schäfchen (wir Schafe!) immer wieder wie Motten die Lichtinstallation im Seitenschiff „Stehen vor dem Nichts“ umschwirren oder ein großes „Geheimnis“ über die Kanzel legen - wenn wir ihn doch einfach anrufen können. Und wer keine Fragen hat, für den gibt’s Anregung von den Wolkenkästen am Kirchenhimmel. Ein himmlischer Versuch, die Fragen aller Fragen für immer zu klären.

Angelika Milster auf Kirchentour


Angelika Milster hat ihre Liebe zu geistlicher und klassischer Musik entdeckt und singt jetzt am liebsten in großen Kirchen

Manche kommen auf die Bühne und sagen „Hallo Guten Abend liebes Publikum!“ oder so in etwa. Angelika Milster macht das anders. Sie kommt, während alle schon seit einigen Minuten erwartungsvoll den Pianisten auf der Bühne ansehen, von hinten. Von einem Spot, ein Lichtstrahl, der von oben kommt, schreitet sie lächelnd durch die Mitte des vollbesetzten Kirchenschiffs der Jacobikirche. Ein Tosen hebt an, Beifall, Standing Ovations schon vor ihrem ersten Ton. Mit traumwandlerischer Sicherheit tritt sie schließlich auf die Bühne. Und beginnt mit einer Händel-Arie ihr Konzert 2008 in Stralsund. So war das am Freitagabend. Und das „Dank sei Dir Herr“, das sie dann anstelle einer Begrüßung sang, klang wie ein Sakrileg. So eine Kirche, die wäre ohne Gott nicht gebaut worden. Und ohne Gott und die Kirchen gäbe es auch nicht diese herrliche Musik. Und es macht ihr offensichtlich Spaß, hier zu singen.
Es sind klassische und geistliche Lieder, ein Programm, das sie seit ein paar Jahren in Kirchen singt. Sie sagt, es sei ihr Leitspruch, von dem großen Kuchen Musik unentwegt zu naschen. Ein großes Stück Musical, ein Eckchen Schlager, die ganze Klassik-Garnitur. Eine Opernausbildung habe sie ja, auch wenn sie dann zu temperamentvoll dafür gewesen sei. Sie wollte ja noch mehr, als ein Leben lang dieselben Arien singen. Dass sie auf der Höhe ihres Ruhms dann als Sängerin und Schauspielerin die Klassik und die geistliche Musik, Kirchenmusik, für sich entdeckt hat, ist also nahe liegend. Jetzt Ja. Also singt sie Bachs „Ave Maria“, das „Wiegenlied“ von Brahms, Händels „L´aschia ch´io pianga“, ein tiefes und mystisches „Kyrie“ von Paolo Rusticelli oder das berühmte „Jerusalem“ von Stephan Adams, so hymnisch und extrovertiert interpretiert, dass man dazu marschieren möchte.
Sie hat sich für diese Musik keine Kunststimme zugelegt. Sie singt wie die Milster eben singt. Atemberaubend kraftvoll, wo holt diese Frau die Luft her, mit dem sie die Töne hält? Manchmal vergisst sie sich leidenschaftlich, sie hantiert in weit ausholenden Gesten, als könnte sie jeden Moment abheben. Immer wieder wird sie bejubelt. Singt am Ende, als Zugabe erst, „Memory“ aus Cats. „Ich singe dieses Lied heute zum 4000. Mal, sagt sie. Und wenn man das nicht auch wüsste, könnte man denken, sie hätte es gerade eben zum ersten Mal gesungen. Hingabe, Seele und Leidenschaft – und kein bisschen abgenutzt.

Kennen Sie Brahms? Generalmusikdirektor Prof. Matthias Husmann und Familie in der Kultur- und Wegekirche Landow auf Rügen

Familie Husmann kennt sich mit Brahms aus

Kennen Sie Brahms? Ja natürlich kennt man den. Ein Komponist der Romantik war er. „Schwere Musik“, fällt noch jemandem ein. Regional könnte sogar bekannt sein, dass er seine Erste Sinfonie auf Rügen beendet hat. Aber dann hört es schon langsam auf. Guten Abend gut Nacht – ja, das Lied ist auch von ihm.
Natürlich muss man Brahms im Jahre 175 nach seiner Geburt nicht dem Sog des Vergessens entreißen – man spielt Brahms in allen Konzertsälen, ständig erscheinen neue Aufnahmen seiner Lieder und Werke. Aber kennt man Brahms deshalb?
Es wird kein Komponisten-Quiz und auch kein Best-of-Brahms, am Sonntagabend in der Kultur- und Wegekirche in Landow. „Kennen Sie Brahms?“ ist eine Einladung. Zu einem Abend, an dem man an einem schönen Flecken dieser Welt Bedeutsames mit ins Leben nehmen kann. Musik und Unterhaltung mit einer Künstler-Familie in Hochform. Prof. Mathias Husmann, Generalmusikdirektor des Theaters Vorpommern, wird die beiden Frauen seiner Familie am Klavier begleiten. Zu hören ist die 2. Violinen-Sonate in A-Dur und Lieder von Brahms und Schumann, u.a. auch die jeweils ersten und letzten. „Die Beiden standen sich sehr nahe.“ Erklärt Husmann, man könne nicht über Brahms reden, und Schumann auslassen. Das wird er erklären. Wenn er von Leben, Frauen und Freunden erzählt. Von Wegbereitern, Widersachern und dem Werk des Komponisten. Husmann ist ein eindrucksvoller Erzähler, der aus den Quellen schöpft. Für den Abend reist Tochter Irene aus Flensburg an, wo sie momentan stellvertretende Konzertmeisterin ist. Die 2. Sinfonie, verrät sie, zitiere an drei Stellen Lieder des Komponisten, die ihre Mutter singen wird. Die Tochter, die schon als Kind erst die Notenhefte ihrer Eltern umblätterte und dann natürlich Musikerin wurde, sagt lachend: „man muss diese Hintergründe als Geigerin gar nicht beherrschen, aber ich hatte in dieser Familie keine Chance, die Lieder nicht zu kennen.“ Man muss den Abend nicht als eingeschworener Brahmine verlassen. Aber man wird diese melancholische, romantische, manchmal abgründige aber auch ätherisch schöne Musik verstanden haben und, ja, Brahms kennen. Falls mal jemand fragt.

Stralsunder Paramentenschatz im Remter des Kulturhistorischen Museums


Der Direktor des Kulturhistorischen Museums Dr. Andreas Grüger

Bis 7. September ist das kühle Gewölbe des Remter´s jetzt Ausstellungsraum. Selbst am hochsommerlichen Vormittag dringt nur so wenig Licht durch das Bleiglas, dass das Kerzenlicht der Kronenleuchter die dämmerige Halle festlich illuminiert. Es sind außerordentlich lichtscheue und hochempfindliche Objekte, die nur selten in den vergangenen Jahrhunderten dem Tageslicht oder Berührungen ausgesetzt waren. Die Schau „Gewebte Pracht“, die Museumschef Dr. Andreas Grüger am Samstag eröffnete, ist, nicht nur für Auskenner, eine regionale Sensation. Erstmals wird der berühmte Paramentenschatz der Stadt Stralsund in seiner Gesamtheit präsentiert. Ehrfürchtiges Staunen also überkommt den Besucher der Ausstellung schon beim Eintreten. Oho, der berühmte Paramentenschatz also! Und irgendwie schaffen es diese 14 sehr schlicht geschnittenen Kleidungsstücke, wie sie da in Vierergruppen im Raum stehen, ocker bis braun changierend, ein wenig goldschimmernd, hier und da ausgebessert, ihrer sagenhaften Farbigkeit durch Licht und den Lauf der Zeit beraubt, eine Aura des Geheimnisvollen zu verbreiten. Eine märchenhafte Schatzkammer betritt man hier. Unsichtbaren Mächten setzt man sich aus. Einer Sage nach ist ein Stralsunder Bürgermeister tot umgefallen, als er eines dieser Prachtgewänder mal eben so aus Spaß durch die Straßen getragen haben soll. Ja, man traut ihnen und den Geistern ihrer Träger, den Kaland-Priestern, so was durchaus zu. Eine höchst interessante und gewissenhafte Einführung in die kulturhistorischen Hintergründe des Schatzes gab die Historikerin Dr. Juliane von Fircks. Im Rahmen eines Forschungsprojektes der Universität Greifswald, finanziert von der deutschen Forschungsgemeinschaft, hat sie in Zusammenarbeit mit der Textiltechnikerin Birgit Krentz den Bestand analysiert und einen Ausstellungskatalog verfasst. Paramente sind also die textilen Ausstattungsstücke des vorreformatorischen Gottesdienstes gewesen. Altartextilien und Priesterobergewänder, darunter trugen sie schlichte weiße Baumwolle. Jedes Gewand ist ein Unikat. Die Stoffe kamen über Hanse-Umschlagplätze vermutlich aus Zentralasien, genäht wurden sie von Stralsunder Schneidern. Mittelalterlicher Zeitgeist zog ein mit den Beschreibung eines Gottesdienstes, verfasst von Franz Wessel, Bürgermeister seinerzeit. Die Bewegungen der Priester mit diesen golddurchwirkten Prachtgewändern in Fackel- und Kerzenlicht, Glockengeläut, frisch rasierte und polierte Glatzen der Mönche – all das erhöhte den religiösen Glanz und die Gottesfurcht. So eine Pracht, sagte von Fircks, sei keiner gewohnt gewesen. Proteste wurden laut. Weihnachten 1524 stürzte ein Aufrührer in den Altarraum, um dem Priester das Gewand vom Leib zu reißen. Die Reformation versenkte die Paramente denn auch kurze Zeit später in dunkle Truhen. Zum Glück. Deshalb sehen sie heute zwar nicht aus wie neu, aber ein Wunder ist es schon. 600 Jahre sieht man ihnen nicht an. Wobei ein Prachtstück gerade höchst aufwändig restauriert wurde. Für 12 000 Euro! Von der Stadt Stralsund in ihr Weltkulturerbe investiert.

Dienstag, Juni 03, 2008

Schülerkonzert 1. Sinfonie von Johannes Brahms

Die 1. Sinfonie von Johannes Brahms, c-Moll, op. 68 in der 10. Klasse des Hansa-Gymnasiums. Gähn! Klassische Musik? Wie schrecklich ist das denn. Brahms? Ooch nee! Musiklehrer möchte man da nicht sein. Mit solchen Banausen eine klassische Sinfonie zu erarbeiten, ist wirklich keine dankbare Aufgabe. Oder aber die Schönste, am Ende. Da sitzen sie nämlich und das Herz geht einem auf, wenn sie plötzlich von Brahms reden, als hätten sie einen neuen Freund gewonnen. Die 10 b des Hansa-Gymnasiums und ihr Musiklehrer Martin Hilpp werden am 13. 3. um 10 Uhr das Schülerkonzert im Theater Vorpommern gemeinsam mit GMD Prof. Husmann und dem Philharmonischen Orchester des Theaters Vorpommern bestreiten. Ein Musikunterricht, der es in sich haben wird. „Sie werden diese Musik nie wieder vergessen!“, eine Drohung fast, wie sie im Raum steht. Aber Husmann gibt nur ein Versprechen ab. Fürs Leben. Er ist sich da sicher. Dafür lohnt sich dieser Riesen-Aufwand, ein ganzes Orchester, ein Musikapparat mit ihm als Schaltstelle. Wie in jedem Schülerkonzert, in Stralsund kann man ja fast von Tradition sprechen, stellen die Schüler Komponist und Werk vor und entscheiden selbst, an welchen Stellen der Partitur der GMD den Taktstock heben soll. Auch der freut sich: „Das ist auch für die Musiker sehr interessant. Man kann diese Zusammenarbeit als Werkstatt betrachten. Beide Seiten haben etwas davon.“ Form und Präsentation der Inhalte sind im Unterricht in einzelnen Arbeitsgruppen gut vorbereitet worden. Mit dem Orchester wird es keine Probe geben. Dafür ist der GMD mit der Theaterpädagogin Dorothea Goltzsch in die Schule gekommen. Und erreicht mühelos, mit ruhigem Ernst, Konzentration und Stille, über das Klingelzeichen hinaus. Husmanns Bildersprache ist phänomenal. „Das Thema kommt rein, hat so Trauerkleider an.“ Er spielt es, schleicht herum wie eben ein Thema in Trauerkleidern und singt, die-daa-daa, geht ans Klavier und holt den Seufzer mit geschlossenen Augen aus dem Instrument, doziert „man erkennt es kaum.“ Er sagt aber, das sei die völlig subjektive Deutung eines Musikers, die Schüler sollen es selbst raushören, was immer sie darin sehen. Und siehe da, man erlebt eine Häutung, einen Entwicklungsprozess. Agnete Granitzka gibt als Erste zu, dass diese Schulaufgabe etwas mit ihr gemacht hat. Sie hat ein Interesse für klassische Musik entwickelt. Langsam packen alle aus. Karoline Hassler findet, dass Popmusik so schnell drin ist, wie sie wieder rausfliegt. Und Lisa Geißler meint, Brahms sei wie jede Musik so, dass man sich nur mal darauf einlassen muss, man müsse sie nur oft genug hören, dann kommt es auch an. „Naja, wir reden hier von nem Titel, der ne Stunde geht. Ohne Text.“ mäkelt Hermann Busse kurz im zwar-aber-Tonfall und pflichtet seinem Nachbarn Nick Arndt bei, als dieser sagt, „den Text kann sich doch jeder selber reinhören.“ Die Sinfonie wird im Anschluss an die Präsentation ganz gespielt, schlägt Husmann vor. Und, ja, das wollen sie. Auch wenn es die Schulzeit für Musik entschieden überzieht.

„Republik Vineta“ Schauspiel von Moritz Rinke


„Republik Vineta“, in Stralsund! Großes Lob für die Stückauswahl des Studententheaters der Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Vineta, das Synonym diffuser menschlicher Sehnsüchte liegt vor unserer Haustür, versunken in der Ostsee. Näher kommen wir nicht ran, an die Theatergeschichte. Das Schauspiel von Moritz Rinke wurde im Jahr 2001 zum besten deutschsprachigen Bühnenstück gewählt. Als Koproduktion mit dem Theater Vorpommern war es am Dienstagabend auf der Bühne des Gustav-Adolf-Saales zu erleben.
Nein, was bei Rinke untergeht, ist kein Paradies, sondern ein orwellscher Alptraum. Fünf Männer in den besten Jahren sitzen fest in einer alten Villa. Das Stück ist ein Genuss, wenn man das Ende schon vorher kennt. Es geht hier zwar um, wichtigwichtig, die Erschaffung einer „Republik Vineta“ auf einer Insel. Strategiespiel in echt. Dies hier solln sie sein, die berufenen Pioniere, die Besten aus Wirtschaft und Politik, die sich das alles als ganz große Nummer aus ihren genialen Köpfen saugen. Wie sich im zweiten Teil herausstellt, und damit wird das Stück zu einer genialen Komödie, sind sie Opfer eines soziologischen Experimentes, mit dem der größenwahnsinnige Psychiater Dr. Leonhardt die verbissenen Workoholics in den Vorruhestand befördert. Die Villa ist eine insulare Heilanstalt für Arbeitssüchtige. Aber bevor von den vermeintlichen Top-Strategen jemand begreift, dass etwas faul ist, stürzen sie ellenbogenkeilend zur Karriereleiter, die unter dem Gesamtgewicht der armen Irren nur zusammen brechen kann.
Die Inszenierung von Jan Böde (Regie/Bühne/Kostüme) gibt den Schauspielern viel Raum für ihre Sprechrollen, auch auf die Gefahr hin, dass sie insgesamt zu nüchtern, zu behutsam, erscheint. Kahle Bühnenpodeste, völliger Verzicht auf Requisiten, Spieler, die am Rand einfrieren oder lebendig werden und die Handlung fortsetzen. Ihnen allen steht der Kakao, durch den man sie zieht, nicht nur bis zum unteren Rand der etwas peinlichen Leggins, sondern bis zur Oberkante Unterlippe. Obwohl im Mittelteil nicht viel passiert, schwamm man als Zuschauer leichtfüßig mit. Eine erstaunliche Gesamtleistung, die das unterschiedliche Spielspektrum der einzelnen Darsteller in sich aufnahm.

Max Goldt liest aus „QQ“


Stralsund hat eine Menge Vorteile gegenüber einer Großstadt. Neben der großen Badewanne vor der Haustür und dem guten Wetter wird ein Max Goldt scheinbar als Geheimtipp gehandelt. Während er in Berlin erwartet wird wie der Dalai Lama, lümmelten sich hier am Montagabend nur knapp 100 seiner Anhänger in die Sitzreihen des Theaters. Das blieb nicht ohne Wirkung auf den Autor. Enttäuscht sei er, ja, aber nicht zerknirscht. Und wer ihn kennt, weiß ja, dass er seine Geschichten weniger vorliest, als vielmehr vorträgt wie ein Komiker im depressiven Schub.
Sein neues Buch heißt „QQ“ und ist wie gewohnt eine Sammlung kurzer Betrachtungen über zeitgenössische Phänomen. Die wörtliche Bedeutung dieser QQ-Verschlüsselung würde jetzt hier auch nichts zur Sache tun. Man muss jede Goldt-Geschichte sowieso ganzheitlich betrachten. Auch wenn man jedes Wort auch auf die Goldtwaage legen könnte. Das wäre zum Beispiel schon wieder eine dieser Phrasen, die der Meister des Abschweifens auf die Spitze triebe. Es ist nicht amüsant, was er sich ausdenkt. Es ist zum Brüllen komisch. Hemmungslos schallend wurde über seine Verhedderungen gelacht. Zum Beispiel die Geschichte mit dem Vorschlag, im Frühherbst einen gesellschaftslähmenden und wirtschaftsschädigenden Doppel- bis Dreifachfeiertag einzuführen. „Masern“ würde er das nennen, auch egal, warum ausgerechnet Masern Aber es klingt gut. „An Masern Masern haben, haha.“ Eine Geschichte, die dem Verbraucher auf grausame Weise alle langen Wochenenden vergällt. Oder die Geschichte über zu gut gemeinte Pünktlichkeit, über Zufrühkommer. Das sei jetzt nicht sexuell gemeint, sondern in Erwartung von Gästen, Messis bräuchten wegen der vielen, oft toten Katzen („die Katze da, die schnurrt doch jetzt nicht mehr so direkt …?) nicht mit Besuch rechnen, aber so ein Sozialleben beinhalte eben auch das Gäste-Ein-und-Aus. Und nichts sei schlimmer als zu früh zu kommen. Er schweift ab, erfindet den Begriff „Pünktlichkeit Plus“, landet bei Apple Plus, Apfelschorle, das Giro-Konto-Plus, das man ja jetzt auch Schorle nennen könnte und endet bei einem Antrag nach Brüssel, die EU künftig „Germany Plus“ zu nennen. Hoffentlich kommt er wieder. Wir organisieren auch Shuttle-Busse aus den fernen Metropolen.

Winfried Glatzeder liest aus seinem Buch „Paul und ich“


Er hängt ihm an wie ein klebriges Bonbonpapier, wie ein nervender kleiner Bruder. Dieser Paul. Immer wenn man Glatzeder sah, hieß es: Das war doch der Paul!? Dieser kultigste Liebhaber der DDR-Filmgeschichte. In bed with Angelika. „Paul und Paula“ waren sie. Er hat ja danach auch noch eine Menge andere Film- und Theaterrollen gespielt und zwar so, dass er mal sinngemäß sagte, dass alle seine Rollen Traumrollen sind, weil sie ihn bis in den Traum verfolgen. Aber dieser Paul, der ist in sein kantiges und verhext altersloses Gesicht gemeißelt, das er seit 35 Jahren wie ein siamesischer Zwilling mit dieser Filmfigur teilen muss. Insofern ist es die weise Einsicht in Dinge die man nicht ändern kann und nicht, wie es auch vermuten lässt, der Hinweis auf eine Persönlichkeitsstörung, dass er seine Autobiografie „Paul und ich“ genannt hat. Winfried Glatzeder ist auf Lesereise und war am Sonntagabend im Theater. In der Mitte der Bühne.
Die erste Begegnung mit seiner Mutter sei ein Schock gewesen, liest er vor. Nein, nicht nach der Geburt die. Erst mit fünf Jahren, nach Jahren zwischen Kinderheim und Großmutter, sieht er sie, die mit TBC in der Lunge in die Quarantäne gezwungen war. Es wird nicht mehr richtig gut mit den Beiden. Den Vater erlebte er nie. Die Geschichte reicht, um zu ahnen, dass unter der laxen und kantigen Erscheinung dieses Schlacks ein ordentliches Verließ zu vermuten ist. Und so sprüht sein Wortwitz durch den Raum, er inszeniert kapitelweise, monologisiert, schweift ab, so dass sich dem Zuschauer ein Glatzeder-Universum erschließt, eins ums nächste, selten kriegt er noch den Ariadnefaden zu fassen, um zurückzukehren zu Buch und Bühne. Aber da steht eben auch der erklärte Exbettnässer und Hypochonder auf einer entstaubten Bühne und verteilt an hustendes Volk Eukalyptusbonbons. Bakterienflug oder akustische Störung, wie auch immer. Dünnhäutig kämpft er um die totale Aufmerksamkeit und kriegt sie, kein Gähnen bleibt unkommentiert und je hippeliger die Zuschauer an ihren Nachtbus denken, um so mehr überzieht er eben. Das sind die Kellerbesichtigungen dieses unverwechselbaren Schauspielers. Das Andere war eine professionelle Bühnenshow, der Lesetipp für ein Buch über eine Menschwerdung als Künstler und eine ausgedehnte Autogrammstunde. Der Nachtbus war eh weg.

„Dieses Buch sollte mir gestatten, den Konflikt in Nah-Ost zu lösen, mein Diplom zu kriegen und eine Frau zu finden“


Sylvain Mazas ist 26 Jahre alt und hat sich vorgenommen, die Welt zu verbessern. Dafür stehen ihm eine Gitarre, ein Haufen Freunde, seine Eltern und sein Zeichentalent zur Verfügung. Im Mückenschweinverlag ist aktuell sein Erstlingswerk erschienen. Ein Comic, auf dessen grauem Pappdeckel der inhaltsschwere Titel prangt „Dieses Buch sollte mir gestatten, den Konflikt in Nah-Ost zu lösen, mein Diplom zu kriegen und eine Frau zu finden“. Es ist „Teil 1“, wohlgemerkt, der hier vorliegt. Sylvain Mazas hat damit sein Diplom bestanden. An der Kunsthochschule in Berlin Weißensee. Und hängt schon mal an die große Glocke: „Mit dem 2. Und 3. Teil löse ich den Nah-Ost-Konflikt und finde eine Frau“. Wenn das mit dem 1. Teil so gut geklappt hat, dann gibt’s an seinen Vorhaben wohl keinen Zweifel.
Das Buch hat sich vor Weihnachten so gut verkauft, dass die Produktion im Verlag auf Hochtouren lief. Denn, die Art und Weise, wie der junge Franzose und sein Verleger Fred Lautsch, den Weltfrieden herbeizuführen gedenken, das ist schon ganz schön ausgebufft. Für fünf Euro ist man dabei. Selten dass man für so wenig Geld so viel bekommt. Ein schönes, inhaltsreiches, amüsantes Buch ohne Altersbeschränkung. Jeder soll es haben. Es soll so vielen Menschen wie möglich in die Hände fallen. Denn, so wird es kommen: Bei allen Lesern werden plötzlich mit Blitz und Peng und Aha die Synapsen umschalten. „Ach, so siehts aus mit dem Libanon und den palästinensischen Flüchtlingen und den Israelis und mit dem Wissen darum, dass man eigentlich nichts weiß und mit den Toleranzen und mit dem Glück.“ Das leuchtet Jedem ein, der nach einer guten halben Stunde das Brevier zuklappt.
Ein wirklich guter Plan! Der dem Buch auch als Schema beiliegt. In der Mitte steht, worum es eigentlich geht: Glücklich sein! Das ist das Ziel seines Lebens. Sagt Mazas, der als Erzähler durch das Buch führt. Alles drumrum ist nur der Weg dahin. Jeden Tag Orangensaft trinken um Vitamine zu haben um gesund zu sein um schön zu sein ... um schließlich und endlich glücklich zu sein. Arabisch lernen, kochen können, tanzen gehen, seine Schwächen zeigen, Gedichte auswendig lernen – all das endet über Pfeilverbindungen und Blasen in der Mitte des Blattes immer mit: Glücklich sein. Und ist mit einer geradezu verblüffenden Logik auf fast Alles anwendbar. Mazas, der es schafft, die Welt mit Dreiecken und Vierecken so plausibel zu erklären, wie kein Philosoph vor ihm, ist ein wacher und sehr kreativer Geist. Seinen dreimonatigen Aufenthalt im Libanon hängte er an mehrere Jahre auf verschiedenen französischen Kunstschulen. Schließlich landete er in Berlin und ist jetzt Dipl.-Illustrator. Comiczeichner. Seine Eltern, sagt er, wollten, dass er lange studiert. Und das ganze Studium lang, sagt er auch noch, hat er gemacht, was er meinte, machen zu müssen, nicht, was seine Professoren von ihm wollten. Für sein Diplom hat er eine Eins gekriegt. Und dass ausgerechnet beim Mückenschweinverlag sein Weltverbesserungsversuch - übrigens ein Wort, das er sehr schätzt, weil man nur in der deutschen Sprache Wörter so großartig selbst zusammenbauen kann – in Druck ging, hat damit zu tun, dass er hier in Stralsund vor ein paar Jahren ein Praktikum absolviert hat. Und dachte: „Die Leute hier sind wirklich cool!“ Mit denen kann er es schaffen, die Welt zu verbessern. Er lebt jetzt in Berlin und Stralsund und bleibt noch ein bisschen im Speicher am Katharinenberg bevor er sowieso wieder da sein wird für sein nächstes Buch, das er neben seinen neuen Projekten mit palästinensischen Flüchtlingskindern im Libanon zeichnen will. Warum? Das wissen wir jetzt: Um das Problem der Flüchtlinge aus seiner speziellen und klugen Weltsicht heraus bekannt zu machen, um das Problem der Flüchtlinge zu lösen um den Konflikt in Nah-Ost zu lösen um die Welt zu verbessern um in Sicherheit zu leben und um, Ja, richtig: Um Glücklich zu sein.

Wladimir Kaminer liest aus seinem Buch „Mein Leben im Schrebergarten“

Wie wichtig ist uns Rharbarber? Haben wir je darüber nachgedacht? Muss erst ein Russe daherkommen, der die Angelegenheit mit dieser seltsamen Gartenfrucht ins Rampenlicht unseres Alltags rückt? Wladimir Kaminer ist jedenfalls der Meinung, es müsste der Genuss dieses äußerst zweifelhaften Kompotts im Test auf Einbürgerung aufgenommen werden. Er hat es sich angetan. Als Integrationsmaßnahme. Der grüne Schleim, der ihm da vorgesetzt wurde, schmeckte zwar nach Essig mit Zitrone, aber er spürte danach ein willkommenes Gefühl der Zugehörigkeit. „Das Leben in Deutschland ist kein Zuckerschlecken!“ Eben!
Es war im zweiten Teil der Lesung, zu der Kaminer am Montagabend in die Fachhochschule nach Stralsund eingeladen war, als er mit der Rharbarbergeschichte herausrückte. Sie stammt aus seinem Buch „Mein Leben im Schrebergarten“ und natürlich hat er sich mit der Aneignung einer solchen Scholle im Speckgütel Berlins auch etwas angetan, was sich nur ganz Mutige trauen: Der Eintritt in den Mikrokosmos eines Gartenvereins. Im ersten Teil seiner Lesung kündigte er sein nächstes Buch an. Es wird „Salve Papa“ heißen, erklärte er, weil seine Tochter im Gymnasium gerade Latein lernt, aber über die erste Vokabel bis zu den Herbstferien nicht hinausgekommen ist. Bildung in Deutschland. Ja, da fällt nicht nur Kaminer was Originelles ein. Und es ist auch nicht messerscharf, was er da über seinen Alltag als Familienvater und Schriftsteller so von sich gibt. Es ist ganz normal. Und deshalb umso amüsanter. Im Audimax der Fachhochschule wurde jedenfalls schon gejohlt, wenn sich wieder jemand aus der ersten Reihe erhob, weil die Tonqualität in den hinteren Sitzreihen erst als solche zu bezeichnen war. Da lacht man plötzlich also über Leute die Todesstreifen harken und über die Dissidenten der Kolonie, die Günter Grass heißen und es nicht wissen und heimlich Nadelbäume kultivieren. Ein Integrations-Genie ist er. Als Russe, der nur deutsche Bücher schreibt. Über den Alltag eben. Und die Bewältigung desselben. Und schräg ist ja nur der Vergleich mit dem, was uns trennt und dann doch nicht. Rharbarber ist, zugegeben, ein Grenzfall.

Sonntag, Juli 22, 2007

"Back to Bach" beim Großen Abendkonzert in St. Marien



Johannes Gebhardt (Flügel),
Daniel Schmahl (Trompete)





„Back to Bach“ hieß das Programm des großen Abendkonzertes in der Marienkirche am Samstagabend. In Bach, und zwar dem einen Großen, Johann-Sebastian, der nicht „Bach“ sondern „Meer“ hätte heißen sollen, wie Beethoven protestierte, sehen die Musiker Johannes Gebhardt und Daniel Schmahl den Schlüssel der abendländischen Musik. Die Leipziger Musiker spielten mit Orgel und Trompete entschlossen gegen das Rummelgejaule neben der Marienkirche an. Kompositionen aus verschiedenen Epochen. Ganz oben auf dem Programm aber Bach, Die Kunst der Fuge. Gerade die ja eine äußerst konstruierte Musik. Die Kunst, Fugen zu schreiben ist reine Logik. Schlüssig, strukturiert. Zauberei. Bach reißt mit seiner Mathematik Saiten an, von denen man in sich bisher nichts ahnte. Viele zeitgenössische Musiker, auch die der internationalen Jazz-und E-Musik-Szene lassen sich von ihm inspirieren. Zurück zu Bach also, immer wieder. Daniel Schmahl, versteht sich, man hörte es, als Grenzgänger zwischen Alter Musik, Früher Moderne und Jazz. Seine Trompete schmiss jazziges, wie Dorhams „Blue Bossa“ oder „All of me“ von Gerald Marks federnd und lässig hinaus. Begleitet von Johannes Gebhardt, der zwischen Orgel und einem Flügel hin und her wechselte. Gebhardt war es, der solistisch immer wieder auf Bach hinwies. Wilhelm Friedemann Bachs Fuge Nr. 1 für Orgel, Schumanns „Aus den Fugen über B-A-C-H“ und schließlich eine eigene Komposition, die „Ballade & Base of Bach“, für Trompete und Orgel, mit dem beide das Konzert beendeten. Fazit: Bach ist überall drin, egal wies klingt.

Kölner "Ostseewellen" in der Hanse-Galerie


Gestreifte Leuchttürme vor rot oder schwarz, Aktstudien, Landschaften – Aquarelle und Linolschnitte hängen seit Dienstagabend entlang der Wände der Hanse-Galerie. Die Arbeiten der Kölner Künstlerin Beate Gördes sind Signale, große Briefmarken, klar grafisch komponiert. Ein blaues Segelboot, ein rotes Segelboot. Körper, Gesichter. Die meisten von ihnen sind in großen Passepartous niedlich kleinformatig, verlockend, sie zu kaufen, unter den Arm zu klemmen und zu Hause am Lieblingsplatz aufzuhängen. Beate Gördes hat noch Kunst im Computer mitgebracht, die bei der Vernissage an die Wand gebeamt wurde. Eine Ostseewelle, ein Foto, nur farblich in Bewegung, zu Musik aus venezianischem Stahlblech auf kupferumspannten Klaviersaiten. Psychodelisch entrückt. In das Foto wuchsen Texte, ein Gedicht. „Tiefblau“ und „Kairo II“. Lyrik von Andrea Karimé. Die Schriftstellerin war mit angereist und veranstaltete eine kleine „Wasser des Ostens“ - Performance. Mischte verschiedene Wasser in Flaschen und Gläsern und präsentierte ihre „Stralsund-Mischung“. Und erzählte, wie in 1001 Nacht Geschichten. Die Deutsch-Libanesin ist mit der arabischen Kultur eng verbunden. Solche Töne also auch an diesem Abend, Libanon, das Geschehen dort im Mittelpunkt. Hier in der kleinen gemütlichen Stadt am Meer liegen die Brennpunkte, wie sie feststellte, nicht im Kriegsgeschehen der weiten arabischen Wüste. Christine Bayer von der Hanse-Galerie dankte beiden Künstlerinnen für ihr Kommen. So fern ist der nahe Osten. Ja. Und so nah ist der ferne Osten.

Dienstag, Juli 17, 2007

Marianne Sägebrecht liest im Remter aus ihren Büchern


Jeder Quadratzentimeter an ihr ist Gefühl. Marianne Sägebrecht ist höchstpersönlich das übervolle Gefäß für ihre „Überlebenssuppen“, einem Buch, aus dem sie im Remter am Mittwochabend. vorlas. Die Sägebrecht ist eine Seherin. Alles hat eine Bedeutung. Dass sie zum Beispiel so widerstandsfähig, nicht nur wirklich ist, sondern auch äußerlich Regen, Hagel und Kälte trotzt, das liegt daran, erklärte sie ihrem Publikum, dass sie im November 1944 gezeugt worden ist. Ein Kind der Stunde Null. Ein Kind der Liebe. Dreißig Jahre später taucht sie als Jasmin Münchstettner in der Kalifornischen Wüste auf. In dem Film „Out of Rosenheim“. In brütender Hitze in ein Lodenkostüm gepresst ebenso wie in die Ehe mit einem, von dem man, laut Drehbuch, bald nur noch die Rücklichter sieht. Diese Jasmin, deren Herzenswärme, Seelenruhe und Selbstverständnis sich auf ihre ganze Umgebung auswirkt, Wunder oh Wunder bewirkt, konnte nur eine Schauspielerin sein. Die Sägebrecht. Danach war sie in Filmen noch viele Andere. Aber in allen steckte Jasmin, also der Geist und das Herz und alle Lebensgesetze, die für Marianne Sägebrecht gelten. Essen zum Beispiel. „Ich spucke Feuer und Asche!“ wenn das nicht sofort losgeht. Das ist ihre Mitte. Und diese Liebe, dieses utopische Interesse an Menschen. „Mein Haus hat keine Wände“ sagt sie, alles offen, es muss immer jemand da sein, der das Herdfeuer bewacht. Und „Carpe diem! Wenn man sich morgens aus dem Bett schwingt. Und es schwapp macht. Dann muss man sich hinstellen und den Tag heiligen.“ Nur den. Morgen früh den nächsten. Es wird warm, wenn man ihr zuhört, einer urigen, knödeligen Bayerin, die immer wieder in herzhaftes Lachen ausbricht. Ihre Wahrheiten erzählt, aus ihren Büchern vorliest. Sie redet nicht. Sie sendet. Ein leichtes Sirren liegt in der Luft.
Die Geschichte von diesem Frauengenerationshaus, in dem sie lebt. Mutter Agnes, Tochter Daniela, Enkelin Alina. Sie wohnt noch immer in der Wohnung ihrer, inzwischen toten, Mutter. Sie appelliert an Offenheit, Ausprobieren neuer Lebensmodelle auf der privaten Ebene. Es sei nicht Sache des Staates, Familien zu organisieren. Sie radebricht die Philosophie der Hildegard von Bingen auf sägebrechtsch. Ihre Bücher sind Anleitungen für ganzheitliches Denken und Rezepte für die ewige gute Suppe auf dem Feuer des Lebens. „In 60 Jahren hat sich viel angesammelt“ entschuldigt sie ihre Wortflut, aber keiner in dem komplett ausverkauften Remter hätte etwas dagegen gehabt, wenn sie immer weiter gemacht hätte. Warum man ihr alles glaubt? Natürlich ist sie ein Star, „Für die, die nicht zur Uschi Glas gehen.“ Aber sie ist vor Allem eins: selten eins mit sich, als Mensch geerdet und authentisch. Ein wunderschöner Abend. Sicher auch wegen diesem blendenden Adonis Lenn Kudrjawizki, mit dem sie in Filmen spielt und auf Lesereisen geht. Ein Freund, ein fantastischer Geiger und Sänger, der, und das heißt eine Menge, neben so viel Frau, eine Super-Figur abgab.