Sonate A-Dur op. 65 Nr. 3 von Felix Mendelssohn Bartholdy – ein Schlager könnte man schon fast sagen, den Kreuzorganist Holger Gehring da an den Anfang seines Konzertes am Mittwochabend in der Kirche St. Nikolai setzte. Es war das letzte Stück, das Kantor Matthias Pech vor der Sanierung der Buchholz-Orgel gespielt hatte und das erste auch nach der Sanierung vor zwei Jahren. Und jetzt wieder. Wie romantisch! Ist es wirklich. Ein Stück aus der Romantik. Zwar meinte Goethe „Classisch ist das Gesunde, romantisch das Kranke.“ Aber das war mal ausnahmsweise eine sehr einseitige Äußerung von ihm. Romantik – das stand für Exzentrik, einen ungesunden Überschuss an Gefühl und Fantasie und für die Verachtung der Wirklichkeit. Aber für Romantik muss man eben Talent haben. Das war nichts für aufgeklärte Zeitgenossen.
Die Komponisten der Romantik fühlten sich als Verkörperung der Musik schlechthin. Musik war jetzt nichts Konstruiertes mehr. Es war die Offenlegung von Seele und Gefühl. Improvisation, seelische Ausbrüche in Variationen. Und die Orgelbauer, die standen diesem Anspruch in nichts nach. Das Neuschaffen von Klängen an der Orgel war für sie Musikschaffen. Seitdem gibt es Begriffe wie „symphonische Orgel“ oder „orchestrale Orgel“ oder „Orgel-Streicher“. Romantische Orgeln haben Tiefe und klingen geheimnisvoller als die der Klassik und des Barock.
Holger Gehring hat so ein romantisches Orgelkonzert gegeben. Stücke der Romantik an einer romantischen Orgel. Und am Ende stand er oben auf der Empore vor seinem „Orchester“, der Buchholz-Orgel, huldigte auch sie mit einer Armbewegung und verbeugte sich beängstigend weit über die Brüstung, hoch oben über seinen applaudierenden Zuhörern, die aufgestanden waren, um ihn sehen zu können.
Es war grandios. Alles zusammen. Natürlich war es die Musik. Aber auch die Orgel. Und dieser alles verbindende Virtuose am Spielpult. Gehring ist wirklich einer der Besten. Amtlich. Sonst wäre er nicht Organist an der Dresdner Kreuzkirche. Er spielte Johann Gottlob Schneider und Gottfried August Homilius. Insbesondere bei den Variationen von Johann Christian Heinrich Rinck holte Gehring mit Spieltechnik und Registrierung aus der Orgel heraus, was sie hergab. Es trompete leise, pfiff wie ein seichter Wind, eine Spieluhr erklang, Geigen strichen leise, in die tiefsten Tiefen stieg er im Pedalbass, klimpernde Zimbeln erklomm er im obersten Manual. Mal schüchtern, als stünde noch eine kleine Orgel hinter der Großen, mal dröhnend, als würden sich Erde und Himmel öffnen. Am Ende hat er die Fantasie Nr. 5 in d-Moll op. 176 gespielt. Eine Reminiszenz an Gustav Adolph Merkel, der ein Kollege Gehrings war, Kreuzorganist. Bis 1885. Romantik, das ist eben auch heute noch die Verklärung der Vergangenheit. Zum Glück. Und somit auch Gegenwart.
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