Der Direktor des Kulturhistorischen Museums Dr. Andreas Grüger
Bis 7. September ist das kühle Gewölbe des Remter´s jetzt Ausstellungsraum. Selbst am hochsommerlichen Vormittag dringt nur so wenig Licht durch das Bleiglas, dass das Kerzenlicht der Kronenleuchter die dämmerige Halle festlich illuminiert. Es sind außerordentlich lichtscheue und hochempfindliche Objekte, die nur selten in den vergangenen Jahrhunderten dem Tageslicht oder Berührungen ausgesetzt waren. Die Schau „Gewebte Pracht“, die Museumschef Dr. Andreas Grüger am Samstag eröffnete, ist, nicht nur für Auskenner, eine regionale Sensation. Erstmals wird der berühmte Paramentenschatz der Stadt Stralsund in seiner Gesamtheit präsentiert. Ehrfürchtiges Staunen also überkommt den Besucher der Ausstellung schon beim Eintreten. Oho, der berühmte Paramentenschatz also! Und irgendwie schaffen es diese 14 sehr schlicht geschnittenen Kleidungsstücke, wie sie da in Vierergruppen im Raum stehen, ocker bis braun changierend, ein wenig goldschimmernd, hier und da ausgebessert, ihrer sagenhaften Farbigkeit durch Licht und den Lauf der Zeit beraubt, eine Aura des Geheimnisvollen zu verbreiten. Eine märchenhafte Schatzkammer betritt man hier. Unsichtbaren Mächten setzt man sich aus. Einer Sage nach ist ein Stralsunder Bürgermeister tot umgefallen, als er eines dieser Prachtgewänder mal eben so aus Spaß durch die Straßen getragen haben soll. Ja, man traut ihnen und den Geistern ihrer Träger, den Kaland-Priestern, so was durchaus zu. Eine höchst interessante und gewissenhafte Einführung in die kulturhistorischen Hintergründe des Schatzes gab die Historikerin Dr. Juliane von Fircks. Im Rahmen eines Forschungsprojektes der Universität Greifswald, finanziert von der deutschen Forschungsgemeinschaft, hat sie in Zusammenarbeit mit der Textiltechnikerin Birgit Krentz den Bestand analysiert und einen Ausstellungskatalog verfasst. Paramente sind also die textilen Ausstattungsstücke des vorreformatorischen Gottesdienstes gewesen. Altartextilien und Priesterobergewänder, darunter trugen sie schlichte weiße Baumwolle. Jedes Gewand ist ein Unikat. Die Stoffe kamen über Hanse-Umschlagplätze vermutlich aus Zentralasien, genäht wurden sie von Stralsunder Schneidern. Mittelalterlicher Zeitgeist zog ein mit den Beschreibung eines Gottesdienstes, verfasst von Franz Wessel, Bürgermeister seinerzeit. Die Bewegungen der Priester mit diesen golddurchwirkten Prachtgewändern in Fackel- und Kerzenlicht, Glockengeläut, frisch rasierte und polierte Glatzen der Mönche – all das erhöhte den religiösen Glanz und die Gottesfurcht. So eine Pracht, sagte von Fircks, sei keiner gewohnt gewesen. Proteste wurden laut. Weihnachten 1524 stürzte ein Aufrührer in den Altarraum, um dem Priester das Gewand vom Leib zu reißen. Die Reformation versenkte die Paramente denn auch kurze Zeit später in dunkle Truhen. Zum Glück. Deshalb sehen sie heute zwar nicht aus wie neu, aber ein Wunder ist es schon. 600 Jahre sieht man ihnen nicht an. Wobei ein Prachtstück gerade höchst aufwändig restauriert wurde. Für 12 000 Euro! Von der Stadt Stralsund in ihr Weltkulturerbe investiert.
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