Montag, September 22, 2008

Die Sache und die Sachen sortiert von Hermann Kant und Irmtraut Gutschke


Lesung und Gespräch
Hermann Kant und Dr. Irmtraud Gutschke
Speicher am Katharinenberg, 27. 8. 2008
Text: Juliane Voigt
Datum: 2008-08-28

Es ist wie mit den beiden Kästen, die man sich irgendwann im Leben anlegt. In den eine kommen die Fotos, die man von sich herumzeigt, die anderen laufen unter „Mumien/Monster/Mutationen“. Nach ein paar Jahren ertappt man sich dabei, wie man die Schlechten zu den Guten umsortiert. „Da sah ich doch super aus! Wieso liegen die in der doofen Kiste?!“ Alles ist relativ und am Ende nur eine Frage der Distanz.
Hermann Kant hat sich zu Wort gemeldet. In einer Zeit, in der sich auch die DDR-Kritik schlicht darauf polarisiert zu haben scheint, dass es nur zwei Seiten gegeben hat: Den bösen Staat und die guten Dissidenten. Schwarz und weiß. Kant liegt bekanntlich als SED-Funktionär und Vorsitzender des Schriftstellerverbandes der DDR in der nicht so ganz günstigen Kiste. Am Mittwoch war er auf Einladung des Freundeskreises Rosa-Luxemburg im Speicher am Katharinenberg.
Es war nicht seine Idee. Das mit dem Buch. Das Neue Deutschland wars: „Was sagt Kant 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus?“ Das wäre doch mal ein Buch, was die Welt noch braucht. Dachten sie und dachten sich gleich eine Buchreihe aus.
Es ist ein Protokoll von fast 50 Stunden Interview, das die Journalistin Irmtraud Gutschke mit Kant geführt und anschließend aufgeschrieben hat. „Die Sache und die Sachen“, ein „typisch kantscher Titel“ sagt sie. Verkaufsschädigend, kam es aus dem Publikum. In Wirklichkeit ist es ein kantscher Volltreffer. Die Sache und die Sachen – um nichts anderes geht’s. Punkt.
Kant antwortet also. Auch an diesem Abend, auf Fragen von Irmtraud Gutschke. Die Fragen aller Fragen an Kant wäre ja die nach seiner heutigen Einsicht in die damaligen Notwendigkeiten. Würde er noch einmal Kollegen aus dem Verband ausschließen, um seine Position zu retten? Gutschke sagt später: „Ja, das wollen alle wissen. Aber ich frage ihn doch nicht jeden Abend dasselbe.“ Laut hat diese Frage an diesem Abend keiner gestellt. Die steht aber, auch mit Antwort, im Buch, falls mans wirklich wissen will. Für diesen Abend folgte man dem Frage-Antwort-Katalog auf dem Podium zu Wehrmacht (nein, keine Waffen-SS!) und Gefangenschaft. Und ein wenig DDR-Aufarbeitung auch, die sowieso, so das Fazit von Irmtraud Gutschke, in ihren grenzenlosen Auswüchsen sinnlos sei, weil „es steht ja keine DDR mehr bevor.“ Genau. Gespenster sind es, sagt Kant, über die man redet. Ein Grusel das, für jeden Historiker.
Aber wenn es einen Grund gibt, warum dieses Buch eins ist, was die Welt vielleicht doch braucht, dann der, dass Kant ein Zeitzeuge ist und in seinen Antworten sehr detailliert und bildhaft Auskunft gibt. Dem man insofern in seiner Weltsicht vertrauen kann, weil er nicht mit Zwar-Aber-Verteidigungsgewinsel versucht hat, die Kiste zu wechseln. Er ist ein großer Literat, ein geistreicher Erzähler und ein, in Maßen, Reflektierter. Ein Mensch, der mit dem Leben, was er als sein Leben leben musste, nur das sein konnte, was er wurde. Wie Jedermann.

Verlag „Das neue Berlin“, 14,90 Euro

Keine Kommentare: