Sonntag, Juli 22, 2007

"Back to Bach" beim Großen Abendkonzert in St. Marien



Johannes Gebhardt (Flügel),
Daniel Schmahl (Trompete)





„Back to Bach“ hieß das Programm des großen Abendkonzertes in der Marienkirche am Samstagabend. In Bach, und zwar dem einen Großen, Johann-Sebastian, der nicht „Bach“ sondern „Meer“ hätte heißen sollen, wie Beethoven protestierte, sehen die Musiker Johannes Gebhardt und Daniel Schmahl den Schlüssel der abendländischen Musik. Die Leipziger Musiker spielten mit Orgel und Trompete entschlossen gegen das Rummelgejaule neben der Marienkirche an. Kompositionen aus verschiedenen Epochen. Ganz oben auf dem Programm aber Bach, Die Kunst der Fuge. Gerade die ja eine äußerst konstruierte Musik. Die Kunst, Fugen zu schreiben ist reine Logik. Schlüssig, strukturiert. Zauberei. Bach reißt mit seiner Mathematik Saiten an, von denen man in sich bisher nichts ahnte. Viele zeitgenössische Musiker, auch die der internationalen Jazz-und E-Musik-Szene lassen sich von ihm inspirieren. Zurück zu Bach also, immer wieder. Daniel Schmahl, versteht sich, man hörte es, als Grenzgänger zwischen Alter Musik, Früher Moderne und Jazz. Seine Trompete schmiss jazziges, wie Dorhams „Blue Bossa“ oder „All of me“ von Gerald Marks federnd und lässig hinaus. Begleitet von Johannes Gebhardt, der zwischen Orgel und einem Flügel hin und her wechselte. Gebhardt war es, der solistisch immer wieder auf Bach hinwies. Wilhelm Friedemann Bachs Fuge Nr. 1 für Orgel, Schumanns „Aus den Fugen über B-A-C-H“ und schließlich eine eigene Komposition, die „Ballade & Base of Bach“, für Trompete und Orgel, mit dem beide das Konzert beendeten. Fazit: Bach ist überall drin, egal wies klingt.

Kölner "Ostseewellen" in der Hanse-Galerie


Gestreifte Leuchttürme vor rot oder schwarz, Aktstudien, Landschaften – Aquarelle und Linolschnitte hängen seit Dienstagabend entlang der Wände der Hanse-Galerie. Die Arbeiten der Kölner Künstlerin Beate Gördes sind Signale, große Briefmarken, klar grafisch komponiert. Ein blaues Segelboot, ein rotes Segelboot. Körper, Gesichter. Die meisten von ihnen sind in großen Passepartous niedlich kleinformatig, verlockend, sie zu kaufen, unter den Arm zu klemmen und zu Hause am Lieblingsplatz aufzuhängen. Beate Gördes hat noch Kunst im Computer mitgebracht, die bei der Vernissage an die Wand gebeamt wurde. Eine Ostseewelle, ein Foto, nur farblich in Bewegung, zu Musik aus venezianischem Stahlblech auf kupferumspannten Klaviersaiten. Psychodelisch entrückt. In das Foto wuchsen Texte, ein Gedicht. „Tiefblau“ und „Kairo II“. Lyrik von Andrea Karimé. Die Schriftstellerin war mit angereist und veranstaltete eine kleine „Wasser des Ostens“ - Performance. Mischte verschiedene Wasser in Flaschen und Gläsern und präsentierte ihre „Stralsund-Mischung“. Und erzählte, wie in 1001 Nacht Geschichten. Die Deutsch-Libanesin ist mit der arabischen Kultur eng verbunden. Solche Töne also auch an diesem Abend, Libanon, das Geschehen dort im Mittelpunkt. Hier in der kleinen gemütlichen Stadt am Meer liegen die Brennpunkte, wie sie feststellte, nicht im Kriegsgeschehen der weiten arabischen Wüste. Christine Bayer von der Hanse-Galerie dankte beiden Künstlerinnen für ihr Kommen. So fern ist der nahe Osten. Ja. Und so nah ist der ferne Osten.

Dienstag, Juli 17, 2007

Marianne Sägebrecht liest im Remter aus ihren Büchern


Jeder Quadratzentimeter an ihr ist Gefühl. Marianne Sägebrecht ist höchstpersönlich das übervolle Gefäß für ihre „Überlebenssuppen“, einem Buch, aus dem sie im Remter am Mittwochabend. vorlas. Die Sägebrecht ist eine Seherin. Alles hat eine Bedeutung. Dass sie zum Beispiel so widerstandsfähig, nicht nur wirklich ist, sondern auch äußerlich Regen, Hagel und Kälte trotzt, das liegt daran, erklärte sie ihrem Publikum, dass sie im November 1944 gezeugt worden ist. Ein Kind der Stunde Null. Ein Kind der Liebe. Dreißig Jahre später taucht sie als Jasmin Münchstettner in der Kalifornischen Wüste auf. In dem Film „Out of Rosenheim“. In brütender Hitze in ein Lodenkostüm gepresst ebenso wie in die Ehe mit einem, von dem man, laut Drehbuch, bald nur noch die Rücklichter sieht. Diese Jasmin, deren Herzenswärme, Seelenruhe und Selbstverständnis sich auf ihre ganze Umgebung auswirkt, Wunder oh Wunder bewirkt, konnte nur eine Schauspielerin sein. Die Sägebrecht. Danach war sie in Filmen noch viele Andere. Aber in allen steckte Jasmin, also der Geist und das Herz und alle Lebensgesetze, die für Marianne Sägebrecht gelten. Essen zum Beispiel. „Ich spucke Feuer und Asche!“ wenn das nicht sofort losgeht. Das ist ihre Mitte. Und diese Liebe, dieses utopische Interesse an Menschen. „Mein Haus hat keine Wände“ sagt sie, alles offen, es muss immer jemand da sein, der das Herdfeuer bewacht. Und „Carpe diem! Wenn man sich morgens aus dem Bett schwingt. Und es schwapp macht. Dann muss man sich hinstellen und den Tag heiligen.“ Nur den. Morgen früh den nächsten. Es wird warm, wenn man ihr zuhört, einer urigen, knödeligen Bayerin, die immer wieder in herzhaftes Lachen ausbricht. Ihre Wahrheiten erzählt, aus ihren Büchern vorliest. Sie redet nicht. Sie sendet. Ein leichtes Sirren liegt in der Luft.
Die Geschichte von diesem Frauengenerationshaus, in dem sie lebt. Mutter Agnes, Tochter Daniela, Enkelin Alina. Sie wohnt noch immer in der Wohnung ihrer, inzwischen toten, Mutter. Sie appelliert an Offenheit, Ausprobieren neuer Lebensmodelle auf der privaten Ebene. Es sei nicht Sache des Staates, Familien zu organisieren. Sie radebricht die Philosophie der Hildegard von Bingen auf sägebrechtsch. Ihre Bücher sind Anleitungen für ganzheitliches Denken und Rezepte für die ewige gute Suppe auf dem Feuer des Lebens. „In 60 Jahren hat sich viel angesammelt“ entschuldigt sie ihre Wortflut, aber keiner in dem komplett ausverkauften Remter hätte etwas dagegen gehabt, wenn sie immer weiter gemacht hätte. Warum man ihr alles glaubt? Natürlich ist sie ein Star, „Für die, die nicht zur Uschi Glas gehen.“ Aber sie ist vor Allem eins: selten eins mit sich, als Mensch geerdet und authentisch. Ein wunderschöner Abend. Sicher auch wegen diesem blendenden Adonis Lenn Kudrjawizki, mit dem sie in Filmen spielt und auf Lesereisen geht. Ein Freund, ein fantastischer Geiger und Sänger, der, und das heißt eine Menge, neben so viel Frau, eine Super-Figur abgab.

Montag, Juli 09, 2007

Vagina Monologe im StiC-er


Keiner kann sagen, dass er nicht wusste, was auf ihn zukommen würde, Freitag im StiC-er. Der Name sagte alles: „Vagina-Monologe“. Ja, wir habens befürchtet. Auch das Pendant zum Dingsda beim Mann führt ein unabhängiges Eigenleben. Schlimmer: Sie kann sprechen! Und was sprudelt da nicht alles aus dem flotten Muttermundwerk, über die frechen Schamlippen. Derb und direkt, lustig, gequält, mädchenhaft, verschämt. Aber Satz für Satz ein gezielter Anschlag auf jegliches Gemauschel um „das da unten.“
Das Theaterstück „Vagina-Monologe“ ist von Eve Ensler. Eine Amerikanerin, die über 200 Frauen interviewte, 200 Vaginas buchstäblich zum sprechen brachte. Und zwar gleich ganz laut: 1997 am New Yorker Off-Broadway. Wo die Monologe international danach auch immer aufgeführt wurden, sie schlugen ein wie Meteoriten. Ein bis dahin völlig fremdes Wesen meldete sich zu Wort.
Und es ist, zugegeben, kein reines Vergnügen, ihr zuzuhören. Lily Derbyshire, Elena Grundke und Fanny Glawe haben aus der kleinen Bühne Im Neubau des StiC-er ein, sozusagen, „intimes Theater“ gemacht. Schon der Mut der drei jungen Laien-Darstellerinnen zu den schweren Textpassagen und den sehr speziellen Figuren dahinter ist beachtlich. Alle drei aber packten derartig aus, dass man, bis eben noch Zuschauer, im nächsten Augenblick hineingezogen wurde. In die schicksalhafte Zweieinigkeit von Frau und dem Universum, dem abgrundtiefen Keller, der rätselhaften Dunkelheit zwischen ihren Beinen. Was so eine Vagina doch alles im Kopf hat! „Ich kann das nicht. Mit dir über da unten sprechen.“ Es dröhnt aus Lily Derbyshire. Furchterregend und tränenrührend zugleich, ihr erster Kuss, lange her, „danach hab ich den ganzen Laden zugemacht!“ Oder Elena Grundke, das Kind, die frühverführte „Tschurimuri“, in hinreißender Naivität. Und Fanny Glawe, als die perfekte „Stöhnerin“ und zwar so, dass man gleich mal bei ihr einen Kurs „Wie simuliere ich einen Orgasmus“ buchen müsste. Sie buchstabieren das ganze weite Feld einmal durch, sie legen die Seele frei und bringen zum lachen. Und sie bringen es bewundernswert leicht und selbstverständlich rüber. Ein starkes Stück für Frauen. Aber auch für Männer, die es bisher nicht geglaubt haben: Sie können sprechen. Die Vaginas. Sie petzen und heulen und lästern und beschweren sich, freuen sich, lachen sich scheckig und haben immer Hunger!

Mendelssohns "Paulus Oratorium" in der Kulturkirche


Es gibt nur wenige biblische Figuren, die so präsent sind, wie Paulus, der sich vom Christenverfolger Saulus zum Heiligen Apostel Paulus wandelte und als personifizierte Vorlage für einen sprichwörtlichen Sinneswandel gilt. Ihm und dessen Leben, das mit dem Märtyrertod endete, widmete Felix Mendelssohn Bartholdy 1836 ein Oratorium. Sein Erstes; der „Elias“ folgte zehn Jahre später. Mendelssohn gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der Romantik und ist der entscheidende Wiederentdecker der Chorwerke des, in der Zeit, völlig unbekannten Johann Sebastian Bach´s. 1823 hatte er eine Abschrift von dessen Matthäuspassion in die Hände bekommen und das Werk wieder aufgeführt. Möglicherweise war das der Impuls für sein erstes Oratorium.
Am Sonntagnachmittag wurde „Paulus“ als ein gemeinsames Projekt des Bach-Chores St. Nikolai Stralsund und der Kantorei Demmin in der Kulturkirche St. Jacobi aufgeführt.
Dem Oratorium wurde oft vorgeworfen, zu akademisch komponiert zu sein. Eng an den Worten der heiligen Schrift, entbehrt das Werk zugegeben einer gewissen Handlungsdramatik oder herzensnaher Arien. Dennoch, es ist ein schönes und wichtiges Werk der Romantik. Leider viel zu selten gespielt. Das Philharmonische Orchester Kalisch (Polen) unter der souveränen Leitung von Kantor Matthias Pech konnte mit warmem und ausgeglichenem, vollem Klang überzeugen. Hervorzuheben ist die Leistung des Chores, der eine sehr umfangreiche Partie mit gutem Ausdruck gestaltete. Wenige Intonationsprobleme im Sopran konnten den guten Gesamteindruck nicht schmälern.
Als Solisten wirkten Dorothee Fries im Sopran und Annerose Kleiminger als Altistin. Einen stimmlich hervorragenden Paulus lieferte Bariton Andreas Scheibner, der ebenso wie der Tenor Johannes Klüser bereits Mitglied des Solistenensembles des Theaters Vorpommern war. Bei nur zwei Aufführungen, in Demmin und Stralsund, hatte man am Wochenende die Chance, dieses Chorwerk einmal wieder zu erleben. Die Kulturkirche jedenfalls war voll.

Kolossales Wortgefetze zur Posaune


Nach dem Donnerstagabend im Gustav-Adolf-Saal fragte man sich doch: Was war in der Soljanka, die Thomas J. Hauck und Friedrich Schenker gemeinsam in einem bekannten Berliner Lokal zu sich genommen haben? Oder genauer: Was haben sie dazu getrunken? „Serners Soljanka“ - Ein kolossales Wortgefetze zu Posaune, kann man sagen, das war es. Todernst inszeniert mit Notenständer und Mikrofon auf Bühne. Die hinter dem Vorhang erst einmal leer blieb. Bis die beiden Virtuosen beliebten, das pausenlose Programm zu eröffnen. Mit Tuten und Schmatzen ins Mikrofon. „Es ist nicht schwierig, blond zu sein.“ War der erste rote Fadenzipfel, der sich aber schon in der zweiten Zeile, wenn man von so was reden kann, im Gehirn festzurrte. Oink quiek tara tara tara. Oder: Du hast den nassen Fetzen nie geliebt. Tatsächlich haben wir es hier mit reinem Sernerschem Dada-ismus zu tun, eine Kunstform, die sich Anfang des letzten Jahrhunderts gegen eine „Ismus-isierung“ von vornherein wehrte und jeglichem Sinn an sich gründlich den Krieg erklärte. Insofern kann es sogar als übertrieben gelten, dass Hauck den Rhythmus mitsteppte und am Notenblatt hing, was bei „ticketacketicketacketirietirie" allerdings wieder so was wie eine Berechtigung fand, weil da vielleicht auch stand „augenaufreißhandhochreiß“. Wer weiß? Einziger textlicher Lichtblick mit Zeitbezug war vielleicht der Ausruf „Welch ein Juli ogottogott“. Ansonsten konnte man auf Denkvorgänge weitgehend verzichten. Es handelte sich einzig um den Vortrag der Vortragenden und die bewiesen durchaus Virtuosität und Können. Ging Hauck in seiner sprachlichen Gelenkigkeit an die berserkerschen Grenzen, hat Schenker ebenfalls aus der Posaune geholt, was mit Pusten. Blasen, Klopfen, Husten, Brummen und Auseinanderbauen an Musik so möglich ist. Alles in allem: ein „gewaltiger metaphysischer Furz“ (Serner) dem die Beiden mit der „Variante in D-Moll“ eine vom Publikum gewünschte Zugabe gewährten.

180 neue Hansa-Sterne für besondere Taten


Der Sternenhimmel über dem Hansa-Gymnasium hat ordentlich Zuwachs bekommen. 180 neue Hansa-Sterne flunkern seit Montag in der Umlaufbahn der Lehreinrichtung. An alle Schüler, die sich in besonderer Weise um inner- oder außerschulische Erfolge verdient gemacht haben, wurden „Hansa-Sterne“ vergeben. Deshalb war jeder in der Aula für diesen Moment ein kleiner Star. Und das war auch der Sinn der Sache.
Es war das Lehrerkollegium, das so eine Veranstaltung wünschte. Es gibt so viele Kinder, die das ganze Schuljahr über vor Wettkämpfen oder Ausscheiden bibbern, einfach nur dabei sind oder auch oft genug die Gewinnerschale einstreichen. Danach stehen ihre Siege oder Niederlagen mal kurz an der Infotafel im Erdgeschoss und bald ist alles vergessen. Diese Kinder aber, die etwas wollen, die Gas geben, während andere sich noch die Augen reiben, die müssen einmal gewürdigt werden! Deshalb wurde jeder Schüler und jede Schülerin zu dieser Veranstaltung einzeln eingeladen, nach vorne aufgerufen, mit einer Rose, einer Klappkarte und dem Glückwunsch der Direktorin Ilona Vierkant gewürdigt. Und anschließend gabs Pizza, vom Förderverein spendiert.
Die meisten Erfolge verzeichneten die Sportler. Die Ruderer, die beim Bundesausscheid in Berlin den 2. Platz belegten, die Hochspringer, die es in Stralsund erstmals auf den 1. Platz schafften, Volleyball, Basketball, Fußball, die Schwimmstaffel, Handball, Mädchenfußball, Tanz und Staffellauf. Ob Stadtjugendsportspiele oder Jugend trainiert für Olympia, die Hansa-Sterne sind dabei, oft auch ganz vorne. Claudia Schiwy ruderte bei der Weltmeisterschaft in Boston mit und Christian Hertel, ein sportliches Multitalent, wird ab nächstem Schuljahr vom Hansa Stralsund zu Hansa Rostock wechseln. Auch in den geisteswissenschaftlichen Olympiaden glänzten die Hansa-Sterne. Georg Friedrich Hensel aus der 8a gewann im April in Hamburg den National Geografic-Landeswettbewerb MV. Zwei Tage lang hat der Geografie-Schulsieger dafür schriftliche Aufgaben lösen müssen. Jessica Keil und Johanna Grosenick sind die besten Vorleserinnen Stralsunds und Elisabeth Schremm sogar eine der 15 besten Vorleserinnen von MV. In Schwerin hat sie aus ihrem Lieblingsbuch „Ronja Räubertochter“ vorgelesen, ein Lesewettbewerb, an dem 6.500 Schüler beteiligt waren. Unübersehbar, dass die Lehrer vor lauter Stolz über ihre Schüler, ganz zu Recht, an diesem Nachmittag fast platzten.

Mit Staub graue Zellen sortiert


Tja, hier gibt’s jetzt Menschen, die haben anderen gegenüber einen echten Vorsprung. Die nämlich, die Dienstagabend in der Brauerei waren. Bei Gregor Staub. Ein Entertainer, ein Zauberer ist er. Einer, der jedem Einzelnen in dem vollen Saal das achte Weltwunder vorgeführt hat: Das eigene Gedächtnis. Immer lauter, immer ungläubiger, johlend, klatschend war das gesamte Publikum von sich selbst am Ende so begeistert, dass die Stimmung sogar in eine fröhliche Massenhysterie umschlug. In drei Minuten hat der Gedächtnistrainer dem gesamten Publikum zwanzig völlig zusammenhanglose Begriffe beigebracht: Kuchenblech, Winterstiefel, Schachbrett, Bürgermeister, Drachenflieger, Schifffahrt, Rotkreuzhelfer, Leseratte, Blauwal und so ging das immer weiter. Gemeinsam wurden sie auf Anhieb heruntergebetet und spätestens nach dem zehnten Begriff, der von ganz alleine einfach auf dem gehirninternen Teleprompter erschien, begann das Publikum ungläubig zu werden. Was war das? Die amerikanischen Präsidenten ab 1953 pflanzte Staub unlöschbar in die Köpfe seiner Probanden. Oder wie man thailändisch bis zehn, eigentlich bis Tausend zählt, das sitzt jetzt verlässlich im Langzeitgedächtnis, (wer weiß, wozu man das noch braucht!). Er sortierte das Zahlengedächtnis, ließ 14 Leute nach Vorne kommen und brauchte vier Minuten, um Allen die Namen einzutrichtern. Und fragte immer wieder: „Wer ist von sich begeistert?“ Wer hat da nicht wie ein Erstklässler die Arme in die Luft gerissen? Es herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Zwei Stunden lang konzentrierte Lernatmosphäre, viel geistreicher Humor und 450 kleine Oberstübchen-Lichter, die sich nach und nach anknipsten, Ahs und Ohs. Ein wahrhaft sinnvoller Abend. Und: nix mit Gehirn-Jogging. Das war eher Gehirn-Yoga. Das Gehirn, meint er, sei das zweite Organ, bei dem die Größe keine Rolle spielt. Obwohl er sich für den Abend in einer besonders intelligenten Ecke Deutschlands wähnte, das Publikum war einfach ne glatte Eins, kann seine Gedächtnisschule jeder von Fünf bis Hundertzwanzig erlernen. Über Eine Millionen Menschen hat Staub in den letzten fünf Jahren so gekriegt. Lehrer des Hansa-Gymnasiums hatten sich um den Erfolgstrainer bemüht, der in Schulen ohne Gage auftritt. Die Hansa-Schüler der 9. bis 11. Klasse, mit denen er schon den Vormittag verbracht hatte, seien „dramatisch besser gewesen, als der Rest der Welt.“ Hat er gesagt. Das wussten wir natürlich schon. Aber das kann jetzt ruhig auch mal in der Zeitung stehen.

Montag, Juli 02, 2007

Shakespeare für jeden Tag


Die Beschäftigung mit Shakespeare in der Schule war nicht durchgehend lustig. Aber wenn man bei „Julius Cäsar“ an die Stelle kam, in der Cäsar sagt „Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein!“, dann war es ein riesiger Spaß, die Klassendicken einmal besonders hervorzuheben und ihnen zu raten, sich doch einmal bei Cäsar zu bewerben. So ginge das weiter. Wenn man sich, wie das Studententheater der Fachhochschule es getan hat, mal genauer in die Shakespeare-Texte versenkt, kann man sich schon sehr wundern, wie brauchbar einzelne Passagen noch immer sind. Es gibt einfach Dinge, die ändern sich nie. Unter der Anleitung von Theaterpädagogin Dorothea Goltzsch haben acht Studenten der FH Donnerstag im Theater am Knieperwall „Shakespeares Knüller“ zusammen getragen und so auf die Bühne gebracht.
England, 16. Jahrhundert. William Shakespeare brütet über seinem Sommernachtstraum. Schneebälle von Knüllpapier ringsum das Pult weisen auf eine massive Schreibblockade hin. Dem Autor kann geholfen werden. Indem man ihn in das 21. Jahrhundert beamt. Und da kann er sich ansehen, was er mit seiner Schreiberei anrichtet. Hier wird nämlich derartig viel Lärm um nichts gemacht, dass dem alten William der Mund bald offen steht. „Was ist denn ein Romeo und Julia-Tee?“ Das, ja kann er sich angucken, wie das frisch verliebte Paar sich nach Genuss desselben völlig vergisst. Er landet mithilfe von Pucks Feenstaub unerkannt im Deutschunterricht, in dem die Stelle „Ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd!“ durchgekaut wird. Kann das sein, dass Richard der III. wollte, dass alle Pferde ein Königreich bekommen? Oder Lady Macbeth, der er in jeder Ehefrauen-Xanthippe wieder begegnet. Intrigen, Mord, Totschlag, Lüge, Verrat und Liebe. All das hat wohl Shakespeare erfunden. Oder so perfekt in Worte gegossen, dass man all die Brillianten mal heben musste. Fanden die Studenten, die ihre Ideen schauspielerisch mit viel Spaß und Überzeugung umsetzten. Ihr Publikum tobte. Und Shakespeare hats am Ende irgendwie auch Spaß gemacht, mit Roller-Blades und Shoppingmeile. Sein oder Nicht sein, dass ist hier die Frage. Ja, Wie es Euch gefällt eben.

Bobo spielt Mental Radio in der Kulturkirche


Endlich hat die Sängerin Bobo auch den Weg nach Stralsund gefunden. In der Jakobikirche stellte sie am Samstagabend Songs aus ihrer brandneuen CD „Mental Radio“ vor. Als Ersatzprogramm für das angekündigte Volksliederprogramm „Lieder von Liebe und Tod“, das wegen der Erkrankung eines Musikers abgesgat werden musste, stand sie statt mit einer Band diesmal nur mit dem Gitarristen Thimo Sander auf der Bühne – und das funktionierte hervorragend. Bobo, die als „Bobo in white wooden houses“ Chart-Erfolge gefeiert und der Gruppe Rammstein für den Hit „Engel“ ihre Stimme geliehen hat, präsentierte Gitarren-Pop vom Feinsten. Die Atmosphäre war intim und doch beschwingt. Die bezaubernde Stimme der Sängerin, die angenehm reduzierte Bühnenshow, die Kraft, mit der sie jedes ihrer Lieder vortrug und dazu die letzten, verirrten Sonnenstrahlen, die das Gewölbe der Kirche in warmes Licht tauchten - alles schien an diesem Abend perfekt aufeinander abgestimmt. Einen Trost gibt es für alle, die den eineinhalbstündigen Auftritt von Bobo verpasst haben: Am 25. August wird sie noch einmal in Stralsund auftreten, dann aber wirklich mit „Liedern von Liebe und Tod“.

Sonntag, Juni 17, 2007

Familiengewächse


Familienstammbäume sind eigentlich Gewächse wie andere auch. Manche Familie bringt es über Jahrhunderte zu einer knorrigen Eiche. Andere muckern im Bonsaibereich herum. Aber jede Familie brächte so etwas wie einen Baum aufs Papier, wenn man die Ahnen in ein Organigramm setzt. Stamm, Zweige, Triebe. Einer wächst, ein anderer bricht ab. Sie bilden Ableger oder sterben aus.
Am 2. Juli 1816 hat Johann Daniel Philipp Weyergang aus Stralsund seine Familie gepflanzt und in der Wasserstraße das erste Kaufhaus der Stadt gegründet. „Philipp Weyergang Sohn.“. So war es zu lesen. An einem Haus, das ansonsten bis vor Kurzem so kaputt war, wie viele andere auch. Dass jetzt der Stralsunder Mückenschweinverlag ein Buch über die Familie Weyergang vorlegt, ist Willi Frankenstein zu verdanken. Und der ihm eigenen Art, den Dingen auf den Grund zu gehen. „Friz Fischer verdanke ich durch ihr Buch „Altstadt und Werbung“ meinen Blick nach oben.“ Erzählte er am Mittwochabend im Speicher am Katharinenberg bei der Buchpremiere. Nur deshalb hätte er den Schriftzug überhaupt wahrnehmen können. Dass sich Wey-er-gang dann wie ein Singsang seinem Spazierschritt angepasst haben muss, ist das, was er so melodisch an dem Namen fand. Und dann machte er sich forschen Schrittes auf den Weg. In Archive, auf Friedhöfe, zu Fachleuten und zu allen Weyergangs, die er finden konnte. Eine lange Frankensteinsche Dankesrede wurde es.
Der inzwischen sanierte Gebäudekomplex war, wenn man so will, der Blumentopf des Familienbaumes. Bis 1933 strotzte er vor Gesundheit. Dann brachen seine Triebe ab. 1953 endlich schloss Hermine Weyergang nach 137 Jahren das Geschäft in der Wasserstraße ab und zog nach Kassel. Die Erben der Kaufmannsdynastie lagen in Soldatengräbern, über die noch nicht einmal Gras wachsen würde. Der Stamm knickte.
Die Familie gibt’s noch. Weit verstreut. Nur Konrad Krause lebt noch in der Nähe. Ralf Tietze zwar im Ruhrgebiet, im Herzen aber längst schon wieder in Stralsund. Ingeborg und Ferdinand heißen noch Weyergang. Sie gehören zu dem Familienzweig, der 1786 nach Indonesien auswanderte. Der Bruder von Philipp wurde dort König von Makassa. Kein Märchen. Es lohnt sich, Stralsunder Familienstammbäume immer ordentlich zu gießen.

Der Postillion von Stralsund


Briefmarken der deutschen Sammelgebiete seit 1848, Motivbriefmarken, Alben, Steckbücher und Literatur über Briefmarken – all das findet man im Briefmarkengeschäft „Postillion“ in der Frankenstraße 63a. Wer also demnächst ein Rendezvous plant, sollte den alten Trick mit der Briefmarkensammlung auf keinem Fall auslassen und sich bei Dieter Lange mit den nötigen Utensilien eindecken. Auch Münzen gibt’s. Beim Wiedersehen mit dem Fünf-Mark-Stück der DDR oder den anderen Alu-Chips unter einer Glasplatte fragt man sich, wieso man die nicht damals kiloweise aufbewahrt hat. Jetzt sind sie nämlich langsam etwas wert. Dieter Lange kann mit den ganzen kuriosen Blüten, die die Sammelleidenschaft manchmal treibt, nichts anfangen. Aber mit den Briefmarken und den Münzen, das ist was anderes. Angefangen hat es bei ihm 1955 mit einem Zeitungsartikel. Es ging um, das weiß er noch genau, die Briefmarke „Georgius Agricola“ von 1945. Wie auch immer er dann lebte - Bauschlosserlehre in Erfurt, Marine auf dem Dänholm, Stralsund mit Frau und Kind, Betriebsschlosser bei der TGA - die Briefmarkenleidenschaft ließ ihn nie mehr los. Er leitete Briefmarkenkurse im Pionierhaus, fand Sammelfreunde in der Volkswerft und eröffnete 1987, allerdings aus gesundheitlichen Gründen, ein Privatgeschäft für Briefmarken. Am Apollonienmarkt. Später zog er in die Badenstraße. Seit vier Jahren ist er in dem Eck-Laden in der Frankenstraße. Trotz Kundeneinbruch nach der Wende, schwerer Krankheit, Scheidung – er ist immer dabei geblieben. „Ich bin, wie sagt man? Beständig.“ Das kann man wohl sagen, nach insgesamt 20 Jahren „Postillion“. Und damit es nicht langweilig wird, nimmt er Anzeigen für die OZ an, verkauft Briefmarken für die Ostseepost und lässt auf Wunsch Stempel anfertigen. Rentner ist er, ja, aber das geht ja auch mit Laden!