Sonntag, Juni 17, 2007

Familiengewächse


Familienstammbäume sind eigentlich Gewächse wie andere auch. Manche Familie bringt es über Jahrhunderte zu einer knorrigen Eiche. Andere muckern im Bonsaibereich herum. Aber jede Familie brächte so etwas wie einen Baum aufs Papier, wenn man die Ahnen in ein Organigramm setzt. Stamm, Zweige, Triebe. Einer wächst, ein anderer bricht ab. Sie bilden Ableger oder sterben aus.
Am 2. Juli 1816 hat Johann Daniel Philipp Weyergang aus Stralsund seine Familie gepflanzt und in der Wasserstraße das erste Kaufhaus der Stadt gegründet. „Philipp Weyergang Sohn.“. So war es zu lesen. An einem Haus, das ansonsten bis vor Kurzem so kaputt war, wie viele andere auch. Dass jetzt der Stralsunder Mückenschweinverlag ein Buch über die Familie Weyergang vorlegt, ist Willi Frankenstein zu verdanken. Und der ihm eigenen Art, den Dingen auf den Grund zu gehen. „Friz Fischer verdanke ich durch ihr Buch „Altstadt und Werbung“ meinen Blick nach oben.“ Erzählte er am Mittwochabend im Speicher am Katharinenberg bei der Buchpremiere. Nur deshalb hätte er den Schriftzug überhaupt wahrnehmen können. Dass sich Wey-er-gang dann wie ein Singsang seinem Spazierschritt angepasst haben muss, ist das, was er so melodisch an dem Namen fand. Und dann machte er sich forschen Schrittes auf den Weg. In Archive, auf Friedhöfe, zu Fachleuten und zu allen Weyergangs, die er finden konnte. Eine lange Frankensteinsche Dankesrede wurde es.
Der inzwischen sanierte Gebäudekomplex war, wenn man so will, der Blumentopf des Familienbaumes. Bis 1933 strotzte er vor Gesundheit. Dann brachen seine Triebe ab. 1953 endlich schloss Hermine Weyergang nach 137 Jahren das Geschäft in der Wasserstraße ab und zog nach Kassel. Die Erben der Kaufmannsdynastie lagen in Soldatengräbern, über die noch nicht einmal Gras wachsen würde. Der Stamm knickte.
Die Familie gibt’s noch. Weit verstreut. Nur Konrad Krause lebt noch in der Nähe. Ralf Tietze zwar im Ruhrgebiet, im Herzen aber längst schon wieder in Stralsund. Ingeborg und Ferdinand heißen noch Weyergang. Sie gehören zu dem Familienzweig, der 1786 nach Indonesien auswanderte. Der Bruder von Philipp wurde dort König von Makassa. Kein Märchen. Es lohnt sich, Stralsunder Familienstammbäume immer ordentlich zu gießen.

Der Postillion von Stralsund


Briefmarken der deutschen Sammelgebiete seit 1848, Motivbriefmarken, Alben, Steckbücher und Literatur über Briefmarken – all das findet man im Briefmarkengeschäft „Postillion“ in der Frankenstraße 63a. Wer also demnächst ein Rendezvous plant, sollte den alten Trick mit der Briefmarkensammlung auf keinem Fall auslassen und sich bei Dieter Lange mit den nötigen Utensilien eindecken. Auch Münzen gibt’s. Beim Wiedersehen mit dem Fünf-Mark-Stück der DDR oder den anderen Alu-Chips unter einer Glasplatte fragt man sich, wieso man die nicht damals kiloweise aufbewahrt hat. Jetzt sind sie nämlich langsam etwas wert. Dieter Lange kann mit den ganzen kuriosen Blüten, die die Sammelleidenschaft manchmal treibt, nichts anfangen. Aber mit den Briefmarken und den Münzen, das ist was anderes. Angefangen hat es bei ihm 1955 mit einem Zeitungsartikel. Es ging um, das weiß er noch genau, die Briefmarke „Georgius Agricola“ von 1945. Wie auch immer er dann lebte - Bauschlosserlehre in Erfurt, Marine auf dem Dänholm, Stralsund mit Frau und Kind, Betriebsschlosser bei der TGA - die Briefmarkenleidenschaft ließ ihn nie mehr los. Er leitete Briefmarkenkurse im Pionierhaus, fand Sammelfreunde in der Volkswerft und eröffnete 1987, allerdings aus gesundheitlichen Gründen, ein Privatgeschäft für Briefmarken. Am Apollonienmarkt. Später zog er in die Badenstraße. Seit vier Jahren ist er in dem Eck-Laden in der Frankenstraße. Trotz Kundeneinbruch nach der Wende, schwerer Krankheit, Scheidung – er ist immer dabei geblieben. „Ich bin, wie sagt man? Beständig.“ Das kann man wohl sagen, nach insgesamt 20 Jahren „Postillion“. Und damit es nicht langweilig wird, nimmt er Anzeigen für die OZ an, verkauft Briefmarken für die Ostseepost und lässt auf Wunsch Stempel anfertigen. Rentner ist er, ja, aber das geht ja auch mit Laden!